In meiner Kindheit gab es noch den sogenannten Schulfunk im Fernsehen. (Jahrzehnte später durfte ich ganz erfreut feststellen, dass sehr viele Beiträge von meinem geliebten Schwiegervater gestaltet und produziert worden waren.) In dieser Sendereihe konnte man (in schwarz/weiß) viel Nützliches über verschiedene Berufe erfahren – und sogar damals, in den 60er Jahren, wurden immer wieder die traditionellen geschlechtsbezogenen Berufsbilder im positiven Sinn ignoriert.
Nun bin ich in den eigenen 60ern und ab und zu erliege ich der Versuchung, eine selbstkritische Rückschau zuzulassen. Das ist keine „Midlife-Crisis", denn die hatte ich verfrüht schon mit 30, während ich meine Pubertät erst mit 50 nachgeholt hatte. Das ist auch frei von jeder Wehmut. Aber ein bisschen emotionales Sodbrennen gestehe ich gerne.
Zum Beispiel war ich in meiner Jugend ziemlich unsportlich. Dank der Zuwendung unseres Sportlehrers habe ich immerhin in der Leichtathletik das silberne Turn- und Sportabzeichen geschafft, aber der selbe Lehrer hat mich – als ich mich nur am Reck aufstützte – noch vor der ersten Übung wieder weggeschickt. Beim Fußball wurde ich immer in die Verteidigung gesteckt. Wir hatten so gute Stürmer, dass deren Torerfolge meine Schnitzer hinten immer ausgleichen konnten. Heute weiß ich: Ich wäre ein guter Tormann gewesen. Groß genug war ich und Bälle fangen konnte ich 10 mal besser, als sie mit den Füßen von A nach B zu bewegen. Mit meinen heutigen Bandscheiben leider keine Option mehr. Tennis hab ich wirklich gut gespielt, aber die Mathe-Nachhilfestunden haben das Zeitbudget overruled. Immerhin demonstrierte ich fast seherische Gaben, als ich mit 17 einmal eine sehr gute Englisch-Schularbeit zum Thema „Was ich einmal können möchte" mit der Antwort „Lieben" versehen hatte. (Natürlich fiel meine Arbeit etwas länger aus, immerhin hat es später auch etwas länger gedauert, bis ich ein überzeugtes und überzeugendes Ja hinter diesen Anspruch setzen konnte.)
Genau so, wie ich mit 42 meinen ersten Halbmarathon gelaufen bin und immerhin eine Zeit von 1 Stunde 52 Minuten auf die Reihe brachte.
Meine Konfliktfähigkeit ist auch so ein Jo-Jo. Gegen die Usurpationen meiner Eltern und meiner Großmutter konnte ich mich ebenso gut zur Wehr setzen, wie gegen die eine oder andere Ungerechtigkeit in meiner Rolle als Schulsprecher. Gegen Untergriffe in Liebesangelegenheiten oder von vermeintlich guten Freunden war ich lange machtlos. Oder: Während ich in meinen Werber-Jahren mit Kunden trefflich streiten konnte, haben mir Illoyalitäten von Partnern den Atem und die Stimme geraubt.
So vieles wollte ich werden und konnte es nicht. Das erträumte Coaching-Haus wird wohl weiterhin leer stehen, weil es gar nicht existiert.
So vieles ist mir wie ein fertiges Brathuhn ins Gesicht geflogen und ich bin immer noch baff über diese Himmelsgaben.
Während unseres langen Urlaubs hat mich meine Tochter per Whatsapp gefragt, ob es mir eh gut geht, weil sich doch so viele Paare im Urlaub zerstreiten. Und ich war vier Wochen mit meiner Lebensliebe unterwegs und ausnahmslos glücklich. Und heute war meine kleine Enkeltochter bei uns und sie hat mich nach 10 Minuten an der Hand genommen, damit wir uns ein Bilderbuch anschauen.
Was könnte ich werden? Ich glaube, das mit der Liebe klappt schön langsam.
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Robert Dengscherz (Montag, 06 August 2018 06:24)
❤️
Brigitte (Montag, 06 August 2018 21:19)
Ich glaube Du machst das, was man Leben nennt, ziemlich gut! �