Watson hat gewonnen. Geschieht uns recht. So lange wir das Anhäufen und Abrufen von Wissen mit Bildung verwechseln.
Bildung. Aus meiner Sicht besteht Bildung eben nicht aus der Ansammlung von Wissen – da sind uns mittlerweile auch durchschnittlich elaborierte Algorithmen haushoch überlegen. In mir geistert eine andere Assoziation mit „Lernen“ herum und in diesem Zusammenhang der weltberühmte amerikanische Organisations-Soziologe Peter Senge, der „Lernen“ als den „gemeinsamen Erwerb neuer Fähigkeiten“ bezeichnet. Bildung könnte dann nicht im Abrufen von (mehr oder weniger sinnlosem) Wissen bestehen – und den damit verbundenen besonders unsympathischen Wettbewerben formelhafter Zahlen-und Buchstaben-Aggregate. Bildung könnte in der gemeinsamen Besinnung auf Haltungen und Verhaltensweisen bestehen, die uns als menschliche Wesen positionieren, die ihren Verstand mit der Güte eines mitfühlenden Herzens begleiten. Dabei sind zwischenmenschliche Situationen vorstellbar, die aus der Neugier auf das andere Individuum getrieben werden. Um jemanden kennen zu „lernen“. Oder auch die Rücksichtnahme auf Bedürfnisse der Nähe oder der Distanz: Wenn ein Röntgenfacharzt seinem Patienten eine schwer verkraftbare Botschaft überbringen muss, ist es halt mit der Berufung auf Zahlen und Fakten nicht getan. Wenn ein Schüler seinen Stoff nicht bis ins kleinste Detail beherrscht, aber die Zusammenhänge der Fakten und Ereignisse begreift. Wenn ein Minister am Leben vorbeiredet und dadurch einen schrecklichen Abstand zwischen sich und seinen Auftraggebern (Wählern!) aufreißt (Fakten-Wissen am Rande: Minister heißt im Lateinischen „Diener“).
Bildung ist mehr als das Antrainieren von Manieren und das Abspulen von leeren Ritualen. Bildung ist Mensch sein.
Spüren und Erfassen individueller Begabungen und Förderung der ganz persönlichen Stärken – nicht das Beharren auf der Eliminierung von Schwächen.
Bildung ist Empathie. Wer aus den engen Grenzen von Paragrafen und Excel-Sheets zu den Schicksalen der Betroffenen aufbrechen kann, „bildet“ sich nicht nur eine Meinung, sondern schafft auch eine gedankliche Welt, in der es Menschen geben kann und nicht nur Vorschriften.
Bildung ist – wie es die Altvorderen durchaus treffend zu formulieren vermochten – Herzensbildung. Die Überwindung der Herz-/Hirn-Schranke, um nicht – wie es die Aufklärung zu ihrer Zeit durchaus treffend postulierte – die Vernunft über die Emotionen siegen zu lassen. Sondern um Statistiken mit Schicksalen zu verbinden.
Algorithmen mit menschlichen Regungen. Wer diese Brücke nicht zu schlagen vermag, wird sehr bald gegen die Kälte und Schnelligkeit der Rechenmaschinen verloren haben.
Vor 10 Jahren habe ich einen hoch authentischen „Handwerker“ im Umgang mit Menschen und deren Bildung kennengelernt: Bill Strickland.
Er wird jetzt sicher schon Mitte 70 sein. Bill Strickland ist als afroamerikanisches Kind in den Slums von Philadelphia aufgewachsen und hatte eine fast schon automatische „Karriere“ als Underdog vor sich. Bis ihn ein Pfarrer aus der Gosse holte, ihm ein Architektur-Studium ermöglichte und somit einen Einstieg in eine Welt, die ihm ansonsten wohl verschlossen geblieben wäre. Der Pfarrer kümmerte sich aber nicht nur um die Aus-Bildung des jungen Mannes, sondern vermittelte ihm auch noch eine solide Tool-Box an menschlichen Werten und Verhaltensweisen. Bill machte daraus das Mantra seines Lebens. Er baut an den Rändern der amerikanischen Großstädte Bildungszentren, in denen er unterprivilegierten Jugendlichen nicht nur Schulbildung schenkt, sondern vor allem auch etwas, das man „modern“ als soziale Intelligenz bezeichnet. Von der Freude am Umgang mit den Mitmenschen bis zu ganz banalen Verhaltensregeln der Höflichkeit und der Hilfsbereitschaft. Bill zieht durch die USA und schnorrt Geld, um seine Projekte finanzieren zu können. Bildungs-Projekte im edelsten Wortsinn.
Bildung ist Brückenbauen. Nicht als Lippenbekenntnis, das nichts anderes im Sinn hat als ökonomische Optimierungs-Manöver. Brückenbauen zwischen entgegengesetzten Polen der Interessen und der Motive. Bildung ist das liebevolle Annehmen des Anders-Seins.
Dann haben wir als Menschen eine valide Chance, unsere Einzigartigkeit zu bewahren.
Denn bereits beim Schachspiel ist uns der maschinelle Denk-Gigant überlegen …