Schulbeginn.

1963. Kindergarten bei der Friedenskirche in Linz-Urfahr. Die geistlichen Schwestern bemühen sich, die mangelnde pädagogische Ausbildung durch Güte und Herzenswärme zu kompensieren. Kein schlechter Deal.
Trotzdem gehe ich da nicht gerne hin. Maria nervt mich. Jeden Tag. Ich freue mich auf die
Volksschule, denn da wird Maria sicher wo anders sein.
Die Schwestern mögen mich. Als Kind recht gut situierter Eltern habe ich zuhause eine
Menge Märchen-Schallplatten und kann die Geschichten auswendig aufsagen.
Ich kriege einen kleinen Stuhl, die anderen Kinder sitzen darum herum, ich sage meine
Geschichten auf und die Schwestern lächeln selig.
Mein Repertoire ist aber durchaus größer.
Ich singe „Rote Lippen soll man küssen“ von Cliff Richard und „Die Liebe ist ein seltsames
Spiel“ von Connie Francis und das Lächeln der Schwestern friert ein bissi ein.
1964. Volksschule bei der alten Pfarrkirche in Linz-Urfahr. Schon mein Ur-Großvater war
dort Schüler und es sieht so aus, als hätte sich seither nichts geändert.
Alte schwarze eiserne Kohlenöfen, altes knarrendes Parkett, kein Turnsaal. Ich sitze drin und freue mich. Da dreht sich ein gelockter Kopf um und grinst mich an. Maria. Scheiß Karma.
Die Lehrerin ist Mitte 40, lebt von ihrem Mann getrennt (Scheidung damals für eine Lehrerin
ein No Go), hat einen Sohn, den sie vergöttert.
Sie ist eine pädagogische Vollkatastrophe, aber didaktisch hat sie was drauf. Wie sie uns die Grammatik einbläut – davon sollten wir noch lange profitieren. Sie betreibt Klassen-Kampf in allen Richtungen. Kinder aus „proletarischen“ Familien haben keine Chance. Willi – den Sohn eines Rauchfangkehrers – schikaniert sie bis aufs Blut. 

In der vierten Klasse bestellt sie den Schuldirektor zu uns in die Klasse. Der ist ein unverbesserlicher Nazi, trägt seinen Hitlerbart mit Stolz und schaut glühenden Auges in die Klasse. Die Lehrerin bellt „Gymnasiasten auf!“ und 13 Kinder erheben sich. Das sind die, die sie zur Aufnahmeprüfung ins Gymnasium zugelassen hat. Der brüllende
Unfug der Aufnahmeprüfungen wird dann durch die Kreisky-Regierung abgeschafft.
1976. Matura-Zeugnis. Bei der festlichen Zeremonie singt der Schulchor, der von einem
Operetten-Komponisten der blechernen Ära des Sprechgesangs geleitet wird.
Aus mir heute noch unverständlichen Gründen trällern die Zwangsverpflichteten „Teure Heimat, wann seh ich Dich wieder.“ Niemand von uns will auswandern.
Als ehemaliger Schulsprecher halte ich die Abschlussrede. Ich sage – und weiß mich der Zustimmung meiner Mitschüler sicher:
„Ich singe das hohe Lied all jenen, die durch gezielte Faulheit dem hehren Ideal des
Strebertums einigen Glanz gestohlen haben.“
Heute: Es gibt Personalisten, die geben nur jenen eine Chance, die in kürzester Zeit die besten Noten in drei verschiedenen Sprachen erreicht haben. „Streber“ ist kein Schimpfwort mehr.
2009. Ich verhandle mit dem Klassenvorstand meiner Tochter, dass er sie mit einer grade noch positiven Note ziehen lässt, sie würde ohnehin die Schule wechseln.
Er ist Mitte 30, kleiner als meine Tochter und ein Arschloch. Monatelang hat er die
Pubertierende gepiesackt, obwohl er wusste, dass sich ihre Eltern grade getrennt hatten.
Ich sage zu ihm: „Wissen Sie, Herr Professor, ich habe 1976 maturiert und wir hatten noch
echte alte Nazis als Lehrer. Aber die waren pädagogisch weiter, als Sie heute.“
Er lächelt mich an und sagt: „Ja, stimmt.“