Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich nicht protestiert;
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr, der protestierte.
Das ist einer der bekanntesten Texte von Martin Niemöller. Er war protestantischer Pastor und führte ein sehr zerrissenes Leben.
Im Ersten Weltkrieg U-Boot-Kommandant.
Ab 1924 NSDAP-Mitglied. Seit 1935 kritisch zum Nazi-Regime - sogar gegenüber Hitler persönlich - wegen der Vereinnahmungsversuche der Diktatur gegenüber den Kirchen. Von 1937 bis 1945 im KZ. Als "persönlicher Gefangener Adolf Hitlers". Im "Ehrenbunker" mit bevorzugter Sonderbehandlung. Nach dem Krieg kritisch gegenüber den Siegermächten und dem Nürnberger Gerichtshof. Spendete seine persönliche Grabstelle an Rudi Dutzschke.
Es finden sich diese und noch viel mehr irritierende Details über seine Biographie in den Suchmaschinen.
Das genannte Zitat begleitet mich schon viele Jahre. Und ich agitiere auch damit, wenn ich Freunde aus der Vereinzelung in den Widerstand gegen die Feinde der Demokratie scheuchen will.
Erst kürzlich habe ich mich ausführlicher mit dem Leben Niemöllers befasst und bin seitdem gespalten: Darf man so einem "Wortspender" die volle Relevanz zusprechen, auch wenn er ein so verstörendes Leben geführt hat? Wie ist eine NSDAP-Mitgliedschaft über so viele Jahre mit diesem Zitat vereinbar? Verliert die Botschaft an Eindringlichkeit, wenn man die Biographie des Autors dagegenhält?
Ich bin sicher, die Botschaft ist relevant und eindringlich. Die Dramatik einer Entsolidarisierung und die fatalen persönlichen Konsequenzen dieser Haltung werden in keiner Weise eingeschränkt.
Und die Aktualität ist nach 80 Jahren so bedrohlich wie damals. Mehr denn je.
Widerstand, laut, mutig, konsequent und anlassbezogen zeitnah muss nun sein.
Sonst wird die Minderheit der Seelenlosen die Mehrheit der Schweigenden erschlagen.