Karl K.
Er war mein Bruder. Als ich bei den Freimaurern aufgenommen wurde, war er schon da. Und augenblicklich haben wir uns so wunderbar verstanden.
Er war Musiker. Cellist. Mit einer solchen Leidenschaft für seinen Beruf, dass es auch für mein bescheidenes Talent immer ein Hochamt war, ihm zuzuhören. Wenn er spielte. Und wenn er über Musik redete.
Er hatte eine sonore, von durchaus einigen Glimmstengeln geräucherte Stimme. Hervorragend zum Erzählen und Vorlesen geeignet. Einmal hatte er die Idee zu einem gemeinsamen Abend für Freunde. Es war unvergesslich. Er las H.C. Artmann. Und zwischen den Texten pfiff ich. Amapola, Marina, aber auch die Kleine Nachtmusik.
Karli hatte das Lachen im Gemüt. Und zugleich konnte er so schwermütig sein, dass man die Bodenlosigkeit seiner Stimmung nicht einmal erahnen konnte.
Seine Fähigkeit, über den Tod zu reflektieren, hat bis heute unvergessliche Markierungen hinterlassen.
Wenn wir aber in Ausübung unserer "Ämter" nebeneinander saßen und jemandem ein verbales Hoppala passierte, wussten wir beide, dass wir uns ja nicht anschauen durften. Der geringste Blickkontant hätte uns in unrettbare Lachkrämpfe geritten.
Karli war ein Zyniker. Und ein herzensguter Mensch. Er konnte Feindschaften bis zum Rotglühen entfachen. Und Verzeihen, ohne Bedingungen zu stellen.
Er hing so sehr an seinem Cello. Aber als er in Pension ging und sein allerletztes Konzert spielte, hat er es dem Kollegen, dem er es verkauft hatte, direkt danach noch "handwarm" übergeben. Und nie wieder einen Ton gespielt.
Karli hat sich einen Hund zugelegt. Chester. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Und haben sich - eh klar - sehr ähnlich gesehen.
Karli wurde krank. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Und er kämpfte. Um jeden Tag, den er dem Tod noch abringen wollte. Gegen alle Statistik hat er noch zwei Jahre gelebt. Und alle medizinischen Waffen einsetzen lassen, die verfügbar waren. Als er mit Kobalt bestrahlt wurde, hat er mit den Krankenschwestern über das Fadenkreuz geblödelt, das ihm auf den Bauch gezeichnet worden war. Immer wieder hat er sich noch aufgerappelt. Dann schien es zu Ende zu sein. Lungenentzündung. Bewusstlosigkeit. Und doch wachte er wieder auf. In diesen letztenTagen wollte er keinen Besuch mehr. Irgendwas hat mich trotzdem ins Krankenhaus getrieben. Ich wollte ihm wenigstens Blumen ins Zimmer stellen lassen. Dann hat er mich doch hereingebeten. Und mich mit den Worten "Mein Freund!" begrüßt. Ein paar Sätze konnten wir noch wechseln. Während wir sprachen, hat er meine Hand gehalten. Seine Hand war warm. Wie immer. Er hatte immer warme Hände.
Dann hat er mich entlassen. Am Weg zum Auto rief ich einen Bruder an und beschwerte mich heulend über das Schicksal.
Eine Woche später hat Karli dann doch seine letzte Reise angetreten. In den Abglanz des ewigen Lichts. Darüber konnte er nächtelang philosophieren...