„Schief is Englisch und Englisch is modern.“ Das ist das herrlichste Zitat aus dem
Munde meiner geliebten Tante Mimi. Ihr gebührt ein Ehrenplatz im „Museum der
Erinnerungen“ (copyright Kai Flemming).
Ihr Bild soll im Festsaal hängen, einen schlichten Holzrahmen haben und von weichem Licht umflort sein. Tante Mimi.
Profan formuliert war sie unsere Putzfrau.
Das wäre allerdings eine skandalöse Entgleisung.
Sie war ein authentisches und autorisiertes Familien-Mitglied, das uns jeden Freitag besuchte und zufällig auch unsere Wohnung putzte. Das Zitat war ihre Antwort auf meine Feststellung, dass nach
ihrer Staubwedelattacke alle Bilder in allen Zimmern schief hingen. „Schief is Englisch und Englisch is modern.“ Alles klar.
Tante Mimi.
Natürlich war sie keine Verwandte. Aber damals war es üblich, allen Erwachsenen, die ein einigermaßen stabiles Naheverhältnis zu Kindern hatten, den Ehrentitel Tante oder Onkel umzuhängen. Und
sie verhielt sich auch so. Als mein Bruder geboren wurde und unsere Mutter mit ihm im Krankenhaus war, wurde Linz von einer Grippewelle heimgesucht. Meinen Vater und mich hat´s auch erwischt.
Tante Mimi ebenfalls. Trotzdem ist sie mit 39 Grad Fieber vom anderen Ende der Stadt zu uns gefahren und hat uns Hühnersuppe gekocht. Sie hatte ein Herz aus absolut reinem Gold. Und eine
wunderbar unbekümmerte banale Körperlichkeit, mit der sie auch im Putzkittel einfach gut aussah.
Tante Mimi und ihr Mann (der Onkel Willi) stammten aus den ehemaligen deutschen Ost-Gebieten und das hat auch ihre Sprache geprägt. Wenn sie sich was gekauft hatte, mit dem sie dann doch nicht
zufrieden war, pflegte sie zu sagen: „Jetzt hab ich mich aber bekauft.“
Onkel Willi war Arbeiter im Walzwerk der Vöest. Als er einmal mit dem Daumen in die
Presse geriet, musste er im Unfallkrankenhaus verarztet werden und erwarb sich bei mir den Status eines ewigen Helden. Tante Mimi und Onkel Willi hatten fünf Kinder.
Drei Töchter und zwei Söhne.
Bei allen Hochzeiten der Sprösslinge war mein Vater im Einsatz. Er hatte das repräsentativste Auto und in dem musste das Brautpaar chauffiert werden.
Als ganz kleiner Bub hatte ich einen Dreiradler mit Luftreifen (!) und Willi, der jüngste Sohn (um einige Jahre älter als ich), passte auf mich auf und lief neben mir her, damit ich nicht vom
Gehsteig runterkippe. Willi war wie seine Mama ein herzensguter Mensch. Auf ihn war sie besonders stolz.
Als er es in Abendkursen zum technischen Zeichner in der Vöest schaffte und einen weißen Mantel im Büro trug, schwebte Tante Mimi drei Meter über dem Erdboden.
Tante Mimi war auch eine Instanz in Sachen Mode und Musik. Sie trug tatsächlich Mini-
Röcke. Und als meine Mutter Anfang der 60er-Jahre wieder einmal an der Liebe verzweifelte, tauchte Tante Mimi mit einer Connie Francis-Platte auf: „Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt
und geht von einem zum andern …“ Die Platte lief so oft, dass ich den Text auswendig konnte und im Kindergarten zum Vortrag brachte. Sehr zur Verwunderung der dort amtshandelnden
Klosterschwestern.
Ja, die Religion. Weil Tante Mimi immer Freitags kam und sich doch so sehr bei uns
anstrengen musste, pilgerte meine Mutter zum damals in unserer Pfarre amtierenden
Fernsehpfarrer Liss. Der – dem Weiblichen sehr zugetan – musste lange nachdenken, bis er meiner Mutter die Lizenz ausstellte, uns alle am Freitag mit Fleisch zu verköstigen, damit die Tante Mimi
nicht von demselben fallen möge. Daher rührt eine zweite verbale Ewigkeit, die ich Tante Mimi verdanke. „Tante Mimi, was gibt’s denn heute zum Essen?“
„A guts Fleischl mit an Soßl!“
Als Tante Mimi älter wurde, wurde ihr das manchmal ein bisschen zu schlichte Gemüt zum Verhängnis. Sie ignorierte beharrlich alle körperlichen Warnsignale, bis ihre Nieren kaputt waren und sie
ein Fall für die Dialyse wurde. Ihr Tod hat uns alle fürchterlich mitgenommen.
Als Trost bleibt uns für immer: „Schief is Englisch und Englisch is modern.“