Der einzige Roman, den Oscar Wilde geschrieben hat.
Er handelt von einem betörend schönen jungen Mann, von dem ein Gemälde angefertigt wird.
Bei Betrachtung seiner eigenen Darstellung wünscht sich der Mann, immer so jung und schön bleiben zu können, wie auf dem Portrait abgebildet. Das reale Altern und die Abbildung seiner Persönlichkeitsdefizite sollten statt dessen am Bildnis sichtbar werden.
Ich befürchte, viele der derzeitigen Akteure in Politik und Wirtschaft kennen die Geschichte
gar nicht – obwohl bereits mehrfach verfilmt. Mir wurde sie – wie so manches andere
literarische Kleinod – von meiner Mutter nahegebracht. (Auch die Faszination für Goethes „Faust“ hat sie in mein Herz gesenkt.)
Der kleine Junge, der von seiner Mutter mit der Begeisterung für das Lesen und das Medium Buch angesteckt wurde – obwohl der elterliche „Leser“ in unserer Familie eigentlich mein Vater gewesen ist – fragt sich nun in aller Naivität: Wo hängt eigentlich das Bildnis der gegenwärtigen Übeltäter, das all die Schlechtigkeit in sich verarbeitet, die so epidemisch grassiert.
Und ja: So manchem ganz besonders miesen Typen (männlich und weiblich) sieht man den inneren Zersetzungsprozess mittlerweile auch äußerlich an. Und die realen Fratzen der
rassistischen chauvinistischen Pöbler lassen tatsächlich kaum mehr Steigerungen nach unten zu.
Aber gleichzeitig wünsche ich mir, es gäbe irgendwo dieses magische Bild, in dem der giftige Wahnsinn komprimiert ist und ganz wie im Roman sollte man das Bild umbringen, damit die Schlechtigkeit wieder zu ihren wahren Eigentümern zurückkehren kann und das Bild zu seinem schönen Ursprung zurückfinden darf.
Dann würde der ganze Hass und die Dummheit denen ins Gesicht geschrieben sein, die uns mit ihren teilnahmslosen und grausam nichtssagenden Visagen die allerschlimmsten Verwüstungen antun.
Und dann würden vielleicht auch die resistentesten Erkenntnis-Verweigerer aufwachen und zur allgemeinen Menschlichkeit (zurück)finden.
Sowas wünscht sich der kleine Hannes.
Und der große auch.
