Das ist – glaube ich – der dritte Brief, den ich Ihnen schreibe. Dieses Mal als Blog.
Ich möchte Ihnen zuallererst danken.
Sie haben die SPÖ und das Amt des Bundeskanzlers in einer Situation übernommen, die der Depesche des österreichischen Generalstabs an den
Kaiser kurz vor Ende des 1. Weltkriegs entsprach:
„Majestät, die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“
Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie mich Ihr erster Auftritt vor der Presse
fasziniert hat. Freie Rede, Sätze mit Inhalten, Botschaften mit Appellen.
Und ich kann mich noch ebenso präzise an den Moment erinnern, als ich im letzten
Wahlkampf bei einer Veranstaltung im kleinen Kreis eingeladen war und wir für ein paar Minuten zufällig nebeneinander zu sitzen kamen. Da habe ich Sie gebeten, doch wieder zu jenem Spirit
zurückzufinden, den Sie in den ersten Wochen Ihrer Amtszeit so ansteckend vermitteln konnten. Und was aus diesem kurzen Gespräch am meisten bei mir hängen blieb, war Ihr trauriger, ernüchterter
Gesichtsausdruck als Reaktion.
Zwischen diesen beiden Erlebnissen liegt eine ganze Welt an Eindrücken, Enttäuschungen, Hoffnungen und Niedertracht.
Aus dieser Zeit habe ich ein Bild mitgenommen, das ich
bezeichnenderweise schon zur Schüssel-Zeit einmal hatte und mit Ihnen wieder auferstanden ist. Ich stelle mir vor, Außerirdische würden in Österreich landen und die wichtigsten politischen
Schlüsselfiguren sehen. Und dann würde man diese Außerirdischen fragen: Wer von denen ist der Bundeskanzler? Dann hätten die zur Schüssel-Zeit sicher auf Franz
Vranitzky gedeutet. Und während Ihrer Amtszeit auf Sie.
Dass diese unbefangenen Zuordnungen zu meinem allergrößten Missvergnügen nunmehr leider nicht der Wirklichkeit entsprechen, haben auch Sie selbst zu einem guten Teil zu verantworten.
Den Putschisten Kurz nicht mit Antritt Ihrer Kanzlerschaft vor die Tür gesetzt
zu haben und zügig Neuwahlen auszurufen, werden Sie wahrscheinlich selbst schon
tausendfach bereut haben. In der Auswahl Ihrer Berater und Einflüsterer derart unkritisch und naiv gewesen zu sein, ist Ihnen – so fürchte ich – in der ganzen schrecklichen Dramatik
wahrscheinlich immer noch nicht klar. Der Drall ins einsame Entscheiden und die – durchaus verständliche - Unlust an der Abstimmung mit Lemuren sind Wesenszüge, die Ihnen wahrscheinlich noch bei
anderen Gelegenheiten in die Parade fahren werden.
Gleichzeitig haben Sie Feinspitze wie mich mit einer Intellektualität verwöhnt, die von der
gesamten derzeitigen Regierung nicht einmal zur Hälfte abgedeckt wird. Und mit einer
authentischen sozialdemokratischen DNA, die mit größter Selbstverständlichkeit gegen Faschismus und Ungerechtigkeit geimpft ist. Offensichtlich haben Sie auch etwas in sich, von dem ich hoffe,
dass Sie es zwar nicht mehr so oft brauchen werden, wo ich aber dankbar bin, dass es existiert: Eine bewundernswerte Leidensfähigkeit, die nun – verständlich – an die Grenze ihrer Belastbarkeit
gekommen ist.
Wie viele andere charismatische Persönlichkeiten werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit als Role Model für die unterschiedlichsten Do´s and Don´ts herhalten müssen: Dafür, wie faszinierend es
sein kann, wenn jemand kluge Gedanken auf der Basis einer hochethischen Einstellung in gute Worte fassen kann. Und dafür, wie schmerzhaft es sein kann, wenn diese wunderbaren Perspektiven durch
augenblicksgetriebenen Dilettantismus zunichte gemacht werden.
Für mich sind und bleiben Sie der beste Bundeskanzler seit Vranitzky.
So hoffe ich von ganzem Herzen, dass es gelingen könnte, die Depesche des österreichischen Generalstabs umzudrehen:
„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos!“