Hättiwari

 

 Da sitzt man so am Küchentisch und denkt sich was.

 

Und man weiß, dass man der siebente Zwerg von links ist. Aber auch die denken sich was.

 

Hab ich mir sagen lassen. Also denk ich nach, wie alles besser werden könnte.

 

Alles? Also gut – in Österreich. Und dort in der Art, wie wir uns ausmachen, wie wir zusammenleben. (copyright: Matthias Strolz)

 

Da fällt einem selbst bei oberflächlichster Betrachtung auf, dass es ein großes Leitmotiv gibt, mit dem die aktuell Regierenden ihr Geschäft betreiben: Angst. Angst vor allem vor Flüchtlingen. Ich benütze ausnahmsweise das Vokabular der Regierenden, auch wenn mir Schutz-Suchende viel besser gefällt und das den Flucht-Ursachen auch viel mehr entspricht.

 

Und vor diesen Schutz-Suchenden muss man Schutz suchen. So jedenfalls die Propaganda derer, die mit diesem Thema auf Stimmenfang gehen. Vor den Schutz-Suchenden muss man Angst haben. Sagen die, die vor den Schutz-Suchenden warnen. Ohne zu bedenken, dass man auch vor den Propagandisten Angst haben sollte.

 

Angst also. Ein tief sitzender diffuser emotionaler Zustand.

 

Ich behaupte, dass all die Angst vor den „Flüchtlingen“ kanalisiert wird. Dass es um die Ängste all jener geht, die sich vor der Zukunft fürchten. Von denen, die nicht wissen, wie sie mit ihren Ausbildungen und Fähigkeiten die nächsten Jahre bewältigen sollen. (Nebenbei bemerkt – für diese Angst vor der Zukunft gibt es sogar einen Fachausdruck: German Angst.

 

Da können wir Ösis uns gleich dazustellen.)

 

Und natürlich ist es sehr viel einfacher, die „Schuld“ für all diese Ängste jenen umzuhängen, die anders aussehen als wir, etwas anderes essen und an etwas anderes glauben. Und freilich tut ein radikaler harter Kern jener Menschen auch alles, um Ablehnung und Ressentiments auch noch zu befördern.

 

Aber der „reality-check“ im eigenen Leben und in dem des Freundes- und Bekanntenkreises zeigt eindeutig: Kein einziges Problem, das uns derzeit plagt, hat real etwas mit Migration und „Flüchtlingen“ zu tun. Sondern mit Angst vor Job-Verlust, vor Positions-Verlust, vor dem Älterwerden, dem Bedeutungs-Verlust, dem Verlust der Zeugungsfähigkeit, dem Verlust des Geliebt-Werdens, dem Verlust der Macht, des Einflusses. Angst vor der Maschine, die uns vielleicht ersetzen wird. Angst vor dem Nicht-Erreichen der absurd hohen Business-Ziele und dann der Nicht-Auszahlung der für die Kredit-Rückzahlung so dringend benötigten Prämie.

 

Angst vor dem hundsordinären Alltag. In dem es gar keine „Flüchtlinge“ gibt. Das sagte ich bereits, es ist aber so notwendig, darauf zu verweisen, weil diese Angst als Ersatz herhalten muss für so vieles, vor dem wir uns wahrscheinlich sehr berechtigt fürchten, es aber nicht zuzugeben wagen.

 

Nun hat sich eine „Erkenntnis“ etabliert, deren Berechtigung ich anzweifle.

 

Die Erkenntnis lautet: Man kann die Komplexität der Umstände nicht mit „einfachen“ Antworten bekämpfen. Ich behaupte: Doch! Nach ca. 4000 Menschen, die ich bisher als Coach betreuen durfte, wage ich die empirisch abgesicherte Behauptung: Niemand – niemand! – ist bisher zu mir gekommen mit dem Wunsch: Machen Sie mir doch mein ohnehin kompliziertes Leben noch komplizierter! Niemand will so etwas. Also besteht die Kunst im Coaching in der Reduktion der Komplexität und nicht in ihrer Erhöhung.

 

Also „dürfen“ Lösungen von komplexen Themen-Gemengelagen auch „einfach“ sein.

 

Sie sollen es sogar!

 

Wenn es nun diese Angst gibt, die von gewissenlosen politischen Marodeuren auch noch tatkräftig geschürt wird: Was ist nun das Gegenteil? Oft wird als Gegenteil der Angst die Vernunft ins Treffen geführt. Das ist ein mittlerweile vielfach widerlegter Irrtum. Denn wäre die Vernunft so wirkmächtig gegen die Angst, hätten Zahlen, Statistiken und messbare Erkenntnisse längst die Angst-Schürer zum Teufel gejagt. Angst möchte Angst bleiben und deshalb braucht sie ein Gegengift, das sie aus ihrer diffusen Ecke holt, OHNE ihr zuzurufen: He, Angst, weißt Du eigentlich, wie blöd Du bist? Du scheißt Dich grade vor etwas an, das es gar nicht gibt! Hand aufs Herz: Wer würde ernsthaft auf eine solche Diagnose reagieren?

 

Das Gegenteil von Angst ist nicht Vernunft, sondern Sicherheit. Oder noch besser: SINN!

 

Für – FÜR – etwas, das mir sinnvoll erscheint, werde ich sehr viel mehr Energie aufwenden, als gegen etwas. Für etwas, das mir nachweislich hilft, meine Probleme zu lösen, werde ich meine Aufmerksamkeit einbringen. Und mein Engagement. So wie der alte Nietzsche schon wusste: Für ein gutes Warum ertrage ich auch das schlimmste Wie.

 

Nun wäre es eine sehr lohnende Übung, Herz und Hirn in die Entwicklung eines neuen Narrativs zu stecken, das eben eine andere Geschichte erzählt, als die Horrorvisionen der professionellen Phobie-Mechaniker.

 

Etwas, das uns den Blick nach vorne wenden lässt und uns davon abhält, hinter jedem Busch einen Heckenschützen zu vermuten. Etwas, für das wir – gemeinsam – bereit sind, zu schwitzen.

 

Auch hier darf ich meine Erfahrung nach fast 15 Jahren Coaching als Evidenz einbringen.

 

Vermeidungs-Ziele funktionieren halt wirklich sehr viel schlechter, als Erreichungs-Ziele.

 

Wenige Augenblicke in den Schuhen eines verantwortungsbewussten politischen Akteurs genügen, um die Brennpunkte der Gegenwart und der erwartbaren Zukunft klar zu sehen.

 

Diese Brennpunkte entwickeln ihre Hitze in einem globalisierten Szenario, dessen Existenz zu verleugnen geradezu fahrlässig ist. Die Sinnstiftung kann nur darin bestehen, sich diesen Herausforderungen sportlich zu stellen und sich selbst und den nachfolgenden Generationen zu beweisen, dass wir imstande sind, uns in der Globalisierung hervorragend zu bewähren.

 

Meinetwegen mit einem Motiv, das im Österreich des Provinzialismus schon des öfteren gut funktioniert hat: Jetzt erst recht! Wir als kleines, hochintelligentes und hochkreatives Land zeigen es allen „da draußen“, dass wir selbstbewusst, motiviert, innovativ, flexibel, lösungsorientiert sind.

 

In der Bildung. In der Gesundheit. In der Altersvorsorge. In der Job-Sicherheit.

 

Beim Generationen-Vertrag!

 

Das wäre eine – ebenfalls meinetwegen – „nationale“ Kraftanstrengung wert, ohne in irgendwelche Nationalismen zu verfallen, die uns doch immer – immer! – nur in die Kacke geritten haben.

 

Und es wäre endlich einmal etwas, wo wir in Österreich gänzlich ohne das reflexartige Verfallen in Opfer-Nummern auskommen könnten. Wir sind nicht die Opfer irgendwelcher mysteriösen Verschwörungs-Mechanismen dunkler Mächte, sondern die Gestalter unserer Lebensumstände. Selbstbewusst, im Wettbewerb, zuversichtlich und angstbefreit.

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Christian Sadil (Freitag, 21 September 2018 19:54)

    DAS ALLES WÜRDE ICH - VERSTANDESGEMÄSS - EINSCHRÄNKUNGSLOS UNTERSCHREIBEN. Allein ... die Realität ist ein unzähmbarer Hund, wenn man auf diesen Erlenntnissen aufbauend den "Feldversuch" wagt.

    Ich hab' das mit einigen Freunden, die ich großteils im fb gefunden habe, ernsthaft versucht. Immerhin, mehr als 5 lange Jahre lang.(siehe www.demos.co.at) ... und bin darin letztlich doch gescheitert, weil es neben dem von Dir beschriebenen Spannungsfeld zwischen Angst und intellektueller Herausforderung ausserhalb der Wirtschafts-Sphäre (genauer: bei der Gestaltung der eigenen Privatsphäre) nämlich noch einen weiteren wirkmächtigen Faktor gibt: die unglaubliche und ständig steigende Ignoranz vieler Menschen gegenüber Themen, die sie selbst betreffen. Diese scheint mir (neben den gesunkenen intellektuellen Fähigkeiten, sich konstruktiv mit Themen auseinanderzusetzen,) ein bislang etwas unterbeleuchteter "windfall-profit" aus den Aktivitäten der professionellen Angstmacher (populistische Politiker, Boulevard, ...) zu sein und wird durch einen allgemein immer stärker fallenden Empathie-level immer stärker "befördert". Übe die Zusammenhänge der dahinterstehenden Mechanismen liesse sich trefflich diskutieren ... (aber das ist hier nicht der Ort dieser Auseinandersetzung). Jedenfalls: danke für Deinen wieder sehr lesenswerten und anregenden Blog-Beitrag!