Der größte Vorteil der früheren sogenannten "großen" Koalitionen - so dröge sie auch gewesen sein mögen - lag darin, dass die beiden Partner gesichert dafür einstanden, die schlimmsten moralischen und/oder ideologischen Verwüstungen des jeweils anderen zu verhindern.
Nun ist das genaue Gegenteil der Fall.
Die beiden amtierenden Parteien holen durch ihre Verschworenheit wechselweise genau jene Schattenseiten hervor, die - so meine letzte bescheidene Hoffnung - auch ihre Wähler nicht mehr so super finden. Die Erfahrungen des zurückliegenden Jahres könnten aber genauso belegen, dass jetzt auch der innere Schrott des Wahlvolkes ungebremst schlimme Urständ feiert.
So schlagen halt jetzt 56% ziemlich vehement durch und zu. Dagegen - nämlich dass 56% ungeniert das Sagen haben - ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Kreisky hatte in seiner Glanzzeit 53% in einer Allein-Regierung und drückte damit viele Reformen durch, mit denen er den biedermaierlichen Mief der 50er Jahre aus dem Land blies. Sehr zum Missfallen der Konservativen, die aber immerhin die Sozialpartnerschaft hatten, um die aus ihrer Sicht schlimmsten Irritationen glattzubügeln. Da kenn ich mich recht gut aus, habe meine Dissertation darüber geschrieben.
Der Unterschied zu heute: Die Sozialpartnerschaft wird abmontiert, wo auch immer es geht und das Wirkprinzip der "Parität" dem Knüppel der Mehrheit untergeordnet.
Als ich vor 35 Jahren promovierte, hatte ich eine aus allen Poren triefende "linke" Dissertation vorgelegt, die von zwei konservativen Professoren mit "Auszeichnung" bewertet wurde und den Sallinger-Preis gewann. (Rudolf Sallinger war der legendäre Präsident der Bundeswirtschaftskammer) Man möge sich ein ähnliches Szenario in der Gegenwart mit den aktuellen Akteuren vorstellen und versuchen, dabei nicht in Verzweiflung zu geraten.
Das ist genau der Schmerzpunkt, um den es heute geht. Das Halbdunkel des ungefähren Wissens hat das Kommando übernommen und drängt zurück in die Grauzonen der Fünfziger-Jahre. Trümmerfrauen-Denkmäler sollen - gegen alle historischen Evidenzen - errichtet werden. Uralt-Konzepte, für die wir von den PISA-Gewinnern ausgelacht werden, schleichen sich zurück in die Schulen, der Klassenkampf kehrt zurück in die Klassenzimmer und in die sozialpartnerschaftlichen Institutionen.
Kreiskys Diktum "Sozialpartnerschaft ist Klassenkampf am grünen Tisch" wird von grünen Schnäbeln und braunen Hirnen abserviert. Ohne die Beherrschung der banalsten Grundregeln des Konflikt-Managements, als da eine ist: "Konflikt-Management besteht in der Herstellung der Handlungsfähigkeit aller Beteiligten." Mangels geistiger und sozialer Kompetenzen regredieren die derzeitigen Amtsträger Richtung Neanderthal, wo bei "Meinungsverschiedenheiten" einfach die Keulen geschwungen wurden.
Da freut man sich dann schon, wenn wenigstens die Unterkante der Pressefreiheit notdürftig gesichert bleibt...