Vom Reiten toter Pferde.

Vor Jahren habe ich einen Gutteil meiner Freunde in zornige Verzweiflung gebracht, weil es mir nicht und nicht gelingen wollte, mich aus einer hochtoxischen Affaire zu lösen. In grausam regelmäßigen Abständen ließ ich es zu, vom Subjekt meiner Sehnsucht ganz schlimm verarscht zu werden. Psychologisch versierte Freunde machten mich mit einer Reihe spannender Begriffe aus dem Lehrbuch bekannt, um meine eigene Lage und die Gemeinheiten der vermeintlichen Übeltäterin drastisch zu 

illustrieren. Diesen Psycho-Brockhaus zur Lösung meiner emotionalen Geiselhaft kann ich seitdem in meiner eigenen professionellen Arbeit sehr glaubwürdig gebrauchen.

Zum Glück sind mir alle damaligen Freunde bis heute erhalten geblieben und meine 

Dankbarkeit für ungezählte Verarztungen im trauten Zweier-Pack oder auch in Gruppen ist 

grenzenlos. Ebenso wie die Einsicht, dass das Reiten toter Pferde zu den gefährlichsten 

Sportarten gehört. Der ökonomische Hausverstand weiß ja ohnehin: Man soll gutes Geld nicht dem schlechten nachwerfen. Soll heißen: Wenn wir schon in das falsche Anliegen investiert haben, sollten wir den Punkt erkennen, ab dem jede weitere Mühe nicht nur sinnlos, sondern auch unsinnig ist. Genau das fällt halt dann so schwer. 

Denn man müsste sich selbst und 

seiner Umgebung eingestehen, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Und nun ist der Gaul 

verreckt, man sitzt nach wie vor im Sattel und glaubt an die Landschaft, die vermeintlich an 

einem vorbeizieht. Als lustvoll struktur-konservativem Menschen war mir das Gerede um "Change" immer suspekt. Das anglo-amerikanische "embrace change" hat mich zeitweise regelrecht wütend gemacht. 

Warum soll ich etwas umarmen, das mir mein Leben so schwer macht und mich aus der Komfort-Zone geliebter Gewohnheiten vertreibt? Antwort: Weil ohne 

die Akzeptanz der Notwendigkeit der Veränderung die "Wirklichkeit" genau im falschen Moment in gnadenloser Härte ihren Wegzoll kassiert. 

Schöne Formulierung - muss ich mir 

für mein nächstes Seminar merken ... 

Einer meiner zahlreichen früheren internationalen Koordinatoren hat mich einmal ganz arg ins Schwitzen gebracht, als er mich fragte: "Wenn Du im Lotto gewinnst und genug Geld für eine eigene Agentur hast: Wieviele Deiner derzeitigen Mitarbeiter nimmst Du mit?" Als Coach frage ich manchmal meine Kunden, die 

sich an schwierige Mitarbeiter klammern: "Wer von Deinen Mitbewerbern würde Dir diesen Menschen abwerben?" Und in der Coach-Ausbildung haben wir gelernt, genau jene Interventionen, die wir besonders gern (und durchaus auch erfolgreich praktizieren), mutig eine Zeit lang auszusetzen, damit wir nicht in die selbst gestellte Falle der Wirkungslosigkeit tappen. 

Und trotzdem mach ich mir jedes mal in die Hose, wenn ich ein neues Handy kriege und nicht sicher bin, ob meine Daten vom alten aufs neue transferiert werden.

Aus: "Ja. Eh."