Zwei glatt, zwei verkehrt.

 

Als Konservativer führt man ein sehr übersichtliches Leben.
Man hat seine fixen Rituale und Feiertage und die schon seit Generationen.
Man weiß, wie man sich anlassbezogen kleidet und unterscheidet sich auch da nicht von den vorangegangenen Generationen.
Alles hat seinen Platz und seinen Sinn und muss nicht weiter hinterfragt werden.
So nimmt alles einen vorherbestimmten Gang und man fügt sich in die Traditionen, auch wenn diese Traditionen manchmal mit dem Herzen nicht mehr ganz so kompatibel sind.
Als Konservativer hat man es natürlich auch immer wieder schwer.
Dann, wenn die Reformer wieder einmal recht lästig sind und Veränderungen wollen.

 

Manchmal verlangen die sogar eine Veränderung und dann wird es richtig anstrengend.
Dann muss man über etwas verhandeln, das doch in der eigenen Weltsicht gar nicht zur Debatte steht und man muss Zugeständnisse machen gegen alles, was einem lieb und wert ist.
Als Konservativer ist man besonders dann in der Klemme, wenn man unvorsichtigerweise zu nah an die Reaktionäre anstreift. Das ist schon eine heikle Gratwanderung.
Denn die Reaktionäre sind manchmal mindestens so anstrengend wie die Reformer, nur vom anderen Ende der Skala.
Aber im Zweifel einigt man sich mit den Gestrigen, denn im Gestern kennt man sich besser aus, als im Morgen.
Nur, wenn sie zu weit ins Gestern wollen, die Reaktionäre, dann wird’s bedenklich. Aber man wird das schon schaukeln, hat doch der Großvater auch ganz gut hingekriegt.
Als Reformer führt man ein sehr unübersichtliches Leben. Ständig gibt es irgendwas zu verändern und manchmal fährt der Zug der Zeit schneller, als man denken kann.
Dann zischt der Zug der Zeit aus dem Bahnhof, bevor man aufspringen konnte und schon muss man ihm nachwinken.
Das ist dann peinlich, weil die Konservativen stehen schon eine Ewigkeit am selben Bahnsteig und kennen das Ritual,
nur steigen die ja absichtlich nicht ein und schauen den Reformern beim Zugversäumen zu.
Als Reformer ist man oft unbeliebt. Ständig will man was ändern, ständig ist man unzufrieden und das wird einem dann schnell als schlechte Laune und Undankbarkeit ausgelegt.
Und wenn man dann in ewigem Bohren dicker Bretter endlich was geändert hat, schon ist es selbstverständlich geworden und dann kommt zur eigenen Unzufriedenheit auch noch die Vergesslichkeit der eigenen Klientel dazu. Das schmerzt und nervt. Als Reformer möchte man gerne ab und zu auch ein bisschen so unkorrekt sein, wie die Konservativen, wenn die zu viel getrunken haben und dann ganz ungeniert werden.

 

Aber da steht einem dann die politische Correctness im Wege und schon wird´s wieder eng. Dann hat der Reformer wieder einmal so gar keine Freud an der schönen Veränderung, weil sie halt immer so korrekt sein muss, während sie doch den anderen so wurscht ist. Und dann kommen die Populisten und machen alles kaputt. Nichts ist mehr so, wie es einmal war.
Da wäre man doch ab und zu gerne auch ein bisschen konservativer und wünscht sich die Zeiten zurück, wie der Großvater beim Maiaufmarsch begeistert ganz vorne dran war.

 

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