Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Wie Sie aus Ihrem reichhaltigen Leben sicher bestätigen können, gibt es Augenblicke, an die man sich sehr lange erinnern kann und die mit ganz bestimmten Bildern und Situationen verbunden sind. So ein Augenblick war für mich Ihre Ankündigung, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Ich habe sofort ihr Foto kopiert und auf Facebook mit nur einem Wort kommentiert: "Ja!"

In meiner damaligen Naivität (trotz durchaus schon fortgeschrittenen Alters) dachte ich mir: "Das ist der sowas von beste Kandidat, es kann gar keinen geben, der ihm nur in die Nähe kommen kann." Wie der Verlauf der Ereignisse zeigte, war diese Einschätzung mit der Realität nicht kompatibel.

Der Wahlkampf hat Ihnen persönlich ein unglaubliches Quantum an Kraft und Ausdauer abverlangt und wie Sie das mit Würde und Gelassenheit geschafft haben, ist nur mit dem allergrößten Respekt zu würdigen. Gleichzeitig hat dieser Wahlkampf alle Gräben, die durch das Land gehen, schonungslos aufgedeckt. Die Xenophobie, die Demagogie, der Hass und die Lüge durften alle an die Oberfläche und haben ein erschreckend hohes Maß an Zustimmung gefunden. Während die Koalition der Anständigen nur einen notdürftigen Zusammenhalt auf die Reihe brachte, der grade dazu reichte, Sie am Ende doch mit einer klaren Mehrheit als Bundespräsident zu verankern.

Ich habe aber nicht nur wegen der allgemeinen "Großwetterlage" gelitten, sondern auch, weil ich es streckenweise sehr schwer empfand, Ihrer Spur zu folgen. Die Ambivalenz des Nachdenklichen und des Schlampigen hat mich immer wieder sehr strapaziert. Die für Außenstehende verblüffende Naivität, mit der Sie versuchten, mit den mechanistisch-elenden Manipulationen des Mitbewerbers umzugehen, hat mich teils erschreckt, teils erzürnt.

Als dann endlich die Qual der Wahl vorüber war, blieben dem Land nur ein paar Monate Verschnaufpause, bis sich die derzeitige Regierung wie ein Albdruck über das Land legte. Als interessierter Staatsbürger hat man natürlich keine Ahnung, was sich hinter den Kulissen abspielt und muss mit den Ergebnissen leben.

Trotzdem fiel es mir unendlich schwer zu akzeptieren, dass Militär und Polizei zum ersten Mal in die Hände der FPÖ gefallen waren. Und dass es offensichtlich in Ihren Überlegungen nur eine untergeordnete Rolle spielte, dass der Justizminister eine FPÖ-Mogelpackung mit türkisem Tarnanstrich ist. So sind de facto Justiz, Polizei und Militär in den Händen einer Partei, die - wenn überhaupt - nur eines dieser Ministerien besetzen sollte. 

Und so stehen nun Ihre 54%, mit denen Sie direkt gewählt wurden, jenen 56% gegenüber, mit denen die Regierung als solche zwar nicht gewählt wurde, auf die sie sich aber rücksichtslos stützt. 

Mir ist bewusst, wieviel Fingerspitzengefühl und Druck notwendig gewesen sein müssen, um den rabiat-burschenschaftlichen Kandidaten für eines der höchsten Richterämter zu verhindern. Mir ist auch klar, dass es trotz allem keine Option ist, das Land einer Regierungskrise auszuliefern, wenn es schon zum Alltag gehört, dass die Grundlagen der Aufklärung in den Schmutz gezerrt werden.

Und doch glaube ich, das Land und seine Menschen würden eine kantigere Artikulation seitens des Bundespräsidenten aushalten. Bei allem Ihnen unbedingt zustehendem Respekt: Selbst bei andauernder Gesundheit, die ich Ihnen von Herzen wünsche, ist es doch wenig wahrscheinlich, dass Sie für eine zweite Amtszeit kandidieren. 

Diese Rahmenbedingung könnte es Ihnen ermöglichen, bei gegebenem Anlass mehr als nur "besorgt" zu sein. Anlässe bietet die Regierung öfter, als es allen Demokraten recht sein kann. Erheben Sie bitte Ihre Stimme - laut und deutlich - wenn die zur Routine gewordene Menschenverachtung gegenüber Familien und Jugendlichen, die bei uns Schutz gesucht haben, wieder ihre hässliche Fratze erhebt. Seien Sie bitte noch wachsamer, wenn der Revanchismus und der Nationalismus vorsätzlich die Errungenschaften der EU sabotieren. Sprechen Sie Klartext, wenn das Unwissen und das Unrecht sich paaren und höchste Funktionsträger wieder einmal die Feuer an die Lunte der Unmenschlichkeit und des Faschismus legen. 

Ganz direkt und ganz ehrlich: Sie haben als hochgeschätzte Person, die das höchste Amt im Staate innehat, nichts zu verlieren. Wir - die StaatsbürgerInnen - aber alles.

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Kommentare: 3
  • #1

    Marion (Freitag, 02 November 2018 20:41)

    Lieber Hannes, Du hast wie immer exakt die richtigen Worte für dieses Trauerspiel, nicht nur am allerseelentag ;-:) gefunden. Super doll!!! Danke für deine Ausdauer!

  • #2

    Maria (Samstag, 03 November 2018 20:48)

    Bitte die Großschreibung von „Ihre“ in der 7. Zeile von unten zu überdenken. Sondt werden Sie womöglich missverstanden.

  • #3

    Maria (Samstag, 03 November 2018 20:49)

    sonst ... (leider auch ein Tippfehler)