Ist PolitikerIn ein Beruf?

Als ich Politikwissenschaft studierte, gab es eine große Zahl an Verwandten und Bekannten, die glaubten, lustig zu sein, als sie fragten: "Ah, das studierst Du also - willst Du Politiker werden?"

Und schon damals war meine Antwort: "Nein, eben nicht. Jetzt wo ich (noch) besser weiß, wie groß der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist." 

In diesen späten 70er und frühen 80er Jahren gab es eine besonders schillernde Figur eines "revolutionären" Jung-Politikers: Josef Cap.

Er war in allen politischen Zirkeln vertreten, selbstverständlich auch auf der ÖH. Jedes Mal, wenn er am Zentralausschuss der ÖH auftauchte, versammelte sich eine Schar von Adoranten, um andächtig seinen lässig hingeschlenzten Bonmots zu lauschen. Immerhin: Er - der großen Wert auf modisches Styling legte - hat trotz heftiger parteipolitischer Betriebsamkeit sein Studium abgeschlossen, ebenso wie sein damals durch plakative Ignoranz von äußerlicher Ästhetik auffallender Kollege Alfred Gusenbauer. Beide entwickelten im Lauf der Jahre eine unerträgliche intellektuelle Arroganz, die Gusenbauer das Amt des Bundeskanzlers kosten und Cap zu einem personifizierten Wähler-Vertreibungs-Programm degenerieren lassen sollte. 

Ich kann mich noch genau erinnern, wie es war, als sich in Zeiten der Schüssel-Regierung kleine Zirkel zusammenfanden, um über kluge Gegenwehr nachzudenken. Ich war da auch immer wieder eingeladen. Einmal, in der Zukunftswerkstatt, saß ein Dutzend Manager mit Alfred Gusenbauer zusammen. Und ich wagte es, darauf hinzuweisen, dass damals die Grünen die oppositionelle Themenführerschaft im Parlament übernommen hatten. Gusenbauer fuhr mich an und fragte, ob er sich wohl hier unter Freunden befände und meine Antwort war, dass ich meinen Hinweis eben aus Freundschaft abgegeben hatte. Wenige Minuten später schickte Gusenbauer seinen anwesenden Büroleiter raus, um Zigaretten zu besorgen. Das hat die anwesenden Vorstandsdirektoren dann doch ein bisschen irritiert. 

Nach Gusenbauer kam Faymann und viele - auch ich - litten sehr unter dem unübersehbaren intellektuellen Kahlschlag, der durch ihn eingetreten war. Ein Kabarettist kreierte die Erkenntnis, dass die Reden des Kanzlers nicht deswegen so schlicht geraten wären, damit das "Volk" es versteht, sondern damit der Redner selbst die Zusammenhänge begreift. Faymann war der Prototyp eines Politikers, der es in der sogenannten "freien" Wirtschaft definitiv zu nichts gebracht hätte. Maturant, Studien-Abbrecher: Da hätte es wohl grade für einen B-Beamten im Wiener Magistrat gereicht. 

Müssen Menschen, die eine unvollständige Berufsausbildung haben, aus der Not der Umstände Politiker werden? 

Nicht zwangsläufig. Es gibt gerade in den ehemaligen Großparteien wunderbare Beispiele großer Kaliber, die auch abgeschlossene Ausbildungen bis zu höchsten akademischen Graden vorweisen können. Heinrich Neißer, Erhard Busek aus der ÖVP, beispielsweise. Oder Vranitzky, Fischer aus der SPÖ. Liste extrem prototypisch verkürzt. Es gab aber auch großartige Menschen, die sich durch härtestes Selbststudium eine unglaublich profunde Bildung zugelegt hatten, die sie dann mit resolutester Lebenserfahrung kombinierten. Meiner Generation hoffentlich noch erinnerlich der wunderbare Rupert Gmoser, der Inbegriff des gebildeten Arbeiters. Auch in den anderen Parteien fanden sich tolle Beispiele von Menschen, die aus dem Leben kommend ihre Kompetenz den Menschen zur Verfügung stellen wollten.

Authentizität scheint so etwas wie eine wunderbare Grundausstattung zu sein.

Genau die erodiert jetzt in erschreckendem Maß. Der Kanzler ist ein einziges Kunstprodukt, aus dem abseits antrainierter Floskeln nichts Authentisches, Ehrliches, Persönliches strömt. Auch er hat in seinem ganzen (jungen) Leben nur als Parteipolitiker gearbeitet und "ÖVP studiert", wie es Matthias Strolz so treffend formulierte. Weit mehr als die Hälfte der Regierung ist entweder fachlich oder intellektuell oder charakterlich den Ämtern nicht gewachsen.

Zum Leidwesen all jener, die sich eine robuste Opposition wünschen, ist es auf deren Bänken im Prinzip nicht wesentlich besser bestellt. Wobei sich grade auf Seiten der SPÖ ein besonders schmerzhaftes Dilemma auftut. Kern war/ist ein umfassend ausgebildeter und in der Wirtschaft erprobter Profi. Ich werde jedes Mal wütend, wenn die obergescheiten türkisen Kritiker behaupten, die ÖBB hätten mit der wirklichen Wirtschaft nichts zu tun. Die ÖBB sind zu einem sehr dynamischen und wettbewerbsorientierten Konzern geworden, an dessen komplexer Steuerung Kerns Kritiker bereits nach einer Stunde jämmerlich scheitern würden. Wer wie ich beinahe wöchentlich das Chaos der Deutschen Bahn ertragen muss, weiß, was Heimweh ist. 

Oder auch Rendi-Wagner. Die Frau kann kluge Sätze mit Subjekt, Objekt und Prädikat formulieren und das unterscheidet sie so wohltuend von den rechten Deutschtümlern, die seit ihrer arischen Geburt auf Kriegsfuß mit deutscher Grammatik und Syntax stehen.

Rendi-Wagner hat als Ärztin und Expertin mehrfach bewiesen, wie gut sie mit komplexen Umständen umgehen kann.

Und doch wirk(t)en Kern und R-W irgendwie verloren. Gegen die message-control der Amtierenden finden sie kein Mittel.

Da war seit der Jahrtausendwende gerade in der SPÖ ein furchtbarer Ungeist zugange. 

Greenberg, der Gusenbauer betreute, riet dem Unbedarften zu "stay on the message", was nur dazu führte, dass die gesamte Partei ein und denselben Satz wochenlang wörtlich wiederholte. Was zur damaligen Zeit ein programmiertes Scheitern bedeutete, reichte Kurz ein paar Jahre später zum Wahlsieg.

Ich weiß noch, wie ich in den Jahren der Schüssel-Regierung fassungslos eine politische Selbstmord-Headline der SPÖ auf der Krone-Titelseite las und panisch in der Partei nachfragte, was da los sei. Und die Antwort war: "Reg Dich nicht auf, wir wissen, daß das ein Schas ist, aber anders kommen wir in Zeiten der Opposition nicht auf die Titelseite."

Ist Politiker ein Beruf?

Wenn ja: Kein schöner. 

Ist Politik geil? Sie könnte es sein.

Wenn man sie als den Platz versteht, wo wir uns ausmachen, wie wir zusammenleben wollen (M. Strolz). 

Davon sind wir derzeit weiter als je zuvor entfernt.