Mit 40.

Mit 40 habe ich meinen Geburtstag in einem Weinkeller gefeiert und wir saßen an runden Tischen, haben gegessen und getrunken und ein Freund hat mir eine sehr teure Füllfeder geschenkt. 

Mit 40 bin ich den Wachau-Halbmarathon in 1 Stunde und 50 Minuten gelaufen. 

Hatte ich monatelang den Management Buy Out in der Werbeagentur, in der ich Geschäftsführer war, verhandelt. Als wir kurz vor meinem Geburtstag in die Zielgerade kamen, war mein Vater schon fünf Monate tot. Ich hätte ihm gerne was erzählt.

Lebte ich mit meiner Familie in einer Eigentumswohnung im 18. Bezirk. Die Lage war sehr gut. Die Wohnung viel zu klein. 

Mit 40 hatte mir der Kaufvertrag für die Anteile der Agentur das Recht zugestanden, meine Anteile zu vererben. 

Verbrachte ich mit meiner Tochter eine Woche in Lignano, schrieb unter dem Sonnenschirm am Pool die Pitch-Präsentation für "Rover" und begründete meine Empfehlung für das Medium Plakat mit "Simulate Size". Wir haben gewonnen.

Mit 40 fuhr ich einen Range Rover 4.6 HSE.

In dunkelblau mit vanillefarbenen Ledersitzen.

Bei der ersten Fahrt mit der Familie hat sich mein Sohn im Fond in die Ledersitze gedrückt und zum ersten Mal nicht mit seiner Schwester gestritten. Hielt nicht lange vor.

Meine Glatze war so unwiderruflich fortgeschritten, dass auch ein extremer Kurzhaarschnitt von den ausgedehnten Lichtungen nicht ablenken konnte. 

Wir hatten eine Agentur-Website. Wenn man mit dem Curser über mein Foto fuhr, habe ich gelächelt. 

Ich war 40. Meine Frau brachte einen meiner zahlreichen Anzüge in die Reinigung. Als sie ihn abholte, wurde sie mit "Frau Doktor" angesprochen (Ich hatte eine Visitenkarte in der Sakko-Brusttasche vergessen).

Meine älteste Tochter war 12, mein Sohn 5 und meine jüngste Tochter war 3 Jahre alt. An den Wochenenden gab es 1 Tag für die 12-Jährige und 1 Tag für die "Kleinen". 

Insgesamt war ich von oben bis unten, von links bis rechts und von vorne bis hinten zerrissen und gespalten und freute mich jede Woche auf die drei Tage mit je einer Stunde auf der Analytiker-Couch. 

Mit 60 habe ich bei meinem Geburtstags-Fest mit meinem unglaublichen Bruder eine selbstgetextete Fassung von "Johnny B. Goode" gesungen. Hab ich schon einmal erwähnt, wie sehr ich meinen Bruder liebe?

Außerdem sang ich den "Cleanhead Blues" von Eddie Vinson. Das geht nur mit Glatze. 

Mit 60 ist mein naheliegendes Ziel, drei zügige Runden im Augarten zu laufen. Naheliegend auch deshalb, weil wir bald in der Nähe des Augartens wohnen werden.

Mit 60 weiß ich, wie sehr ich das für österreichische Agenturen typisch Bunte in der Kundenberatung (1 BeraterIn betreut mehrere verschiedene Kunden) auch heute als Coach schätze. Sich voll auf einen Klienten einlassen, dann nach Hause fahren und am nächsten Tag einen ganz anderen Klienten konzentriert zu begleiten, ist einfach wunderbar. 

Auf meiner Website lache ich auf jeden Fall - das Foto hat mein ganz besonderer Freund Michael Schipper gemacht. 

Mit 60 blicke ich auf fast 10 Jahre zurück, die ich in (m)einem Haus in Klosterneuburg gelebt habe und auf fast 10 Jahre, in denen ich das mittlerweile nicht mehr mache (weil mir das Haus gar nicht mehr gehört). 

Mit 60 kann ich den Unterschied zwischen zuhause und daheim am Saxophon blasen. Na ja, auf dem jetzt grade nicht, aber irgendwann einmal vielleicht wieder.

Mein Auto hole ich mir von Car2Go. Wenn ich alleine bin und mir eine Belohnung verdient habe, einen Mercedes. Zu zweit wird‘s meistens ein smart, weil Schatzi die Lenkradschaltung beim Cederer nicht mag. 

Mit 60 passt mir kein einziges Kleidungsstück aus den 40ern mehr. Die damals feschen Bundfalten müssten jetzt wohl zum Niveauausgleich nach Fressgelagen herhalten. Sind eh unmodern, würde Schatzi sagen. 

Wenn die Enkelinnen bei uns sind, freu ich mich. Sehr! Wenn nachher eine Ruh ist, auch.

Wenn ich mich heute über was ärgere, dann richtig. Wenn ich glücklich bin, dann auch. Ganz vieles ist mir wurscht. Nicht wegen der plakativen Gelassenheit, die mich bei anderen so provoziert ("rabiate Balance"). Sondern, weil mir die Wurschtigkeit so viel mehr bringt, als das ständige Grundrauschen sinnloser Betriebsamkeit. Ich bin so gut wie nie auf einem Branchenfest und mir fehlt so gut wie nichts.

Dafür arbeite ich gern. Nicht, weil ich muss. Weil ich will. Und weil ich es noch immer darf: Das zu tun, was ich gut kann. 

Aber das Fliegen in einem Flieger voller bewusstloser Hirnschüssler kann ich noch immer nicht.