Studieren. Damals.

Damals. Da war sehr vieles ganz anders. Zweite Hälfte der 70er Jahre. Meine Freunde und ich saßen 1978 im Café Maximilian. Gegenüber dem NIG (Neues Instituts-Gebäude – mittlerweile schon ein recht altes Instituts-Gebäude). Dort – im NIG – gab es sogar noch einen Pater Noster. 

Okay – schön beim Thema bleiben. 

Wir saßen also im Café. Meine Lieblingskellnerin dort hieß Agnes. Sie lag altersmäßig zwischen mir und meiner Mutter und aus diesem Niemandsland heraus flirtete sie mit mir oder strapazierte mühsam zusammengekratzte Mütterlichkeit. Ihr schönster Spruch – immer, wenn ich wieder einmal sichtlich wenig erheitert war: „Na, Schatzi, ka Plotz auf da Wiesn?“ 

Genau. Ka Plotz auf da Wiesn. Schon damals mein chronisches Leiden. Und dann brachte Agnes mir meine Grundausstattung: Mohnschnitte und großer Brauner. Ich liebte die Mohnschnitten! Diese immer leicht mit Inländer-Rum getränkte Fülle, das bisschen imaginierter Rausch, den die Ingredienzien suggerierten. Und dann die Kombi mit dem immer leicht angebrannten Kaffee. All das würde ich heute mit einem wütenden Posting auf Facebook diffamieren. Damals war es perfekter Eskapismus und – den Ausdruck kannten wir damals auch noch nicht – Fake. Dieser Begriff hätte uns schon damals gute Dienste geleistet. 

Zum Beispiel, als wir betrauerten, als Generation um die Sensation des 68er-Jahres betrogen worden zu sein. Als die Pflastersteine flogen – damals 1968 – (bei uns eh nicht, aber keine Revolution ohne Romantik) da waren wir grade 10 Jahre alt gewesen und in jeder Hinsicht zu jung für alle Verheißungen der wilden neuen Zeit. Wer zwei mal mit der/demselben pennt, gehört schon zum Establishment war für 10-Jährige irgendwie out of reach – wir in der vierten Klasse Volksschule wussten auch nicht, was das Establishment ist. 

Wir bedauerten uns also gegenseitig. Dabei hatten Kreisky und sein Team einen Großteil der himmelschreienden Ungerechtigkeiten durch simplen Einsatz geschickter Diplomatie nach innen, unterfüttert mit einer soliden absoluten Mehrheit, einfach weggeräumt. 

Nur 1 Jahr später sollte die Abstimmung über Zwentendorf die Götterdämmerung des Sonnenkönigs andeuten. Dass er kurz danach die größte Mehrheit seiner Amtszeit erntete, ist dazu kein Widerspruch, sondern vielmehr die Bestätigung.

Fake. Hätten wir diese Vokabel damals schon gehabt, wir hätten sie wahrscheinlich bis zur Ermüdung strapaziert. Aber nur dann, wenn wir auch geschnallt hätten, mit wieviel Fake wir umgeben waren. Seit der Ölkrise vor grade einmal 5 Jahren war das Weltwirtschaftssystem unwiderruflich aus den Schienen gesprungen. Haben wir damals irgendwie geahnt – wir waren ja nicht deppad – aber so wirklich kapiert hatten wir es nicht. 

Die ganz Bewusstlosen ergötzten sich zur Sommerzeit an den epidemisch ausartenden „fetes blanches“, fuhren weiße Golf GTI mit weiß lackierten Stoßstangen und Außenspiegeln und weißen Sitzbezügen. Ich weiß nix, aber sonst ist alles weiß.

Den Marxismus behende zitierende Agitatoren hatten sehr lukrative Ferienjobs oder auch dauerhafte Jobs neben dem Studium und fuhren im September noch einmal schnell nach Florenz, um sich dort adäquat für den Semesterbeginn einzukleiden. 

Am Politikwissenschaft-Institut tobte eine Revolution, die durch das Valium der österreichischen politischen Kultur zum Austausch großer Geräusche mit Knallfröschen schrumpfte. Während im Iran die Schah-Diktatur von der Diktatur der Ayatollahs abgelöst wurde, gerieten die jeweiligen Parteigänger in Wien im Seminarraum aneinander. Die in feines Tuch gewandeten Söhne iranischer Händler stritten mit den Abkömmlingen von vor dem Terror des Schah-Geheimdiensts Geflohenen. Mit der Zeit war ich schon recht vertraut mit dem typischen Akzent der Diskutanten, den erhitzten Gesichtern und immer gleichen Argumenten.

In Linz saß mein Vater ratlos über den Oberösterreichischen Nachrichten und ärgerte sich über seine Söhne. „Do hobts jetzt eichan Khomeini!“ rief er zornig in unsere Richtung und konnte nicht verstehen, dass mein Bruder und ich beiden Diktatoren nichts abgewinnen konnten. Ja, die Perser. 

Man glaubt es heute nicht, aber ich verfügte im zarten Alter von 20 Jahren über üppig sprießendes blau-schwarzes Haupthaar und einen Bartwuchs, der selbst bei ordentlicher Rasur einen schwarzen Schatten auf meine Backen legte. Zu dieser Zeit fügte es sich, dass wieder einmal eine gemeinsame Seminararbeit verfasst werden musste und sich eine Gruppe von 5 Studenten in der elterlichen Wohnung einer Kollegin versammelte. Deren Mama war ob ihrer Jausen sehr beliebt. Die Mama kommt mit einem Tablett Naschereien herein, wird zum ersten Mal meiner ansichtig, nähert sich mir vorsichtig und sagt ganz langsam mitten in mein Gesicht: „Sprechen Sie Deutsch?“ Nach der Erklärung meiner Herkunft kommt ganz unbekümmert die Replik: „Ah so, ich hab Sie für einen Perser gehalten – san eh fesch, die Perser!“ Sie zwinkert ihrer Tochter zu, die aber zu meinem Leidwesen mit einem wenig später sehr berühmten Musikproduzenten liiert war, und geht ab. 

Es war damals irgendwie so ein gesellschaftliches Zwischenstromland. Die Medien – ein überschaubares Konglomerat – ergötzten sich am Vater-/Sohn-Konflikt zwischen Kreisky und Androsch. Die Wirtschaft war wieder einmal ganz okay. In Moskau regierte noch immer Breschnjew. Carters Scheitern in den USA war programmiert und der kalifornische Gouverneur und B-Movie-Darsteller Ronald Reagan wärmte auf. Margareth Thatcher schwang ihre Handtasche und wollte von der EU ihr „money back". Niemand, absolut niemand hätte einen Schilling auf den nur 11 Jahre später stattfindenden Berliner Mauerfall und den Zusammenbruch des Warschauer Pakts gewettet. Seltsam das alles aus heutiger Sicht. Die Innenpolitik damals war im Vergleich zu heute ein Lercherlschas. 

Heute bewegt sich die internationale Politik wieder zurück in die alten Schützengräben mit dem Unterschied, dass Altspatzen wie ich eine recht stabile Sehnsucht nach Reagan oder Thatcher entwickeln. 

1978. Die Studenten waren aus Sicht der nicht-studierenden Öffentlichkeit faule Gfraster – eh wie immer. Auf den Universitäten wurde hingegen ziemlich brav studiert. Die Drop-Out-Quote war aber auch damals schon recht hoch. Der Studien-Abbruch lag jedoch nur zu kleinen Teilen an der Unmöglichkeit der Finanzierung. Eine Reihe meiner Freunde studierte nur noch pro forma, weil sie sehr lukrative Jobs gefunden hatten und von diesen Jobs in die Karriere-Leitern gehievt worden waren. Meine Erinnerungen schweifen aus und schwelgen und beamen sich in diese Zeit.

Wahrscheinlich bleib ich da noch ein bisschen hängen. Im nächsten Blog.