Der erste richtige Job.

Mein Vater hatte recht: Politikwissenschaft ist eine brotlose Zunft. Das dachte ich mir jedenfalls – ganz leise in mich hinein, damit er's nicht merkt – als ich nach Abschluss des Studiums auf Job-Suche ging. Natürlich hatte ich versucht, zuerst einmal mein Studium nutzbringend zu verwerten. Meine lange zurückliegende erste Orientierung, die mir Vati in tapferer Überwindung seiner grundlegenden Zweifel noch ins Ohr gesetzt hatte, war mir kein Anliegen mehr. Vati hatte angeregt, nach dem Studium die Diplomatische Akademie zu besuchen und eine Karriere als Diplomat einzuschlagen. Das hatte mir ursprünglich sehr gefallen und ich hatte auch einige Lehrveranstaltungen im Studium absolviert, die in diese Richtung tendierten. Nach der mit Leidenschaft betriebenen Arbeit an der Diss war der Fokus mehr in Richtung Systemtheorie gewandert. 

Nun mühten sich in bester sozialpartnerschaftlicher Manier ein paar liebenswürdige Spitzenrepräsentanten von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Organisationen ab, um dem damals 25-Jährigen einen Job zu verschaffen. Allen voran mein wunderbarer Doktor-Vater 

DDDr. Alfred Klose, der einmal der Chef der wirtschaftspolitischen Abteilung der Bundeswirtschaftskammer gewesen und einer der Gründerväter der Sozialpartnerschaft war. Alfred warf sein ganzes Netzwerk an – jedoch vergebens. 

Ich hätte meine Bibliothek um ein entscheidendes Buch erweitern müssen. Das (Partei)Buch der ÖVP hatte ich mangels weiterer Übereinstimmung schon drei Jahre vorher zurückgegeben. Das der SPÖ anzunehmen wäre ich gerne bereit gewesen, allein: Das nützte mir auch nix, denn um wirklich die Segnungen der Partei genießen zu dürfen, hätte ich (damals!) schon bei den Kinderfreunden im Kindergarten gewesen sein und meine Jugend bei den Roten Falken verbracht haben müssen. Konnte ich beides nicht vorweisen. War dann einige Jahre später bei meinem tatsächlichen Parteieintritt auch schon ziemlich egal – mit dem Verlust der Stimmen ist auch die Arroganz geschrumpft. 

Nun denn, der von mir sehnlichst erwünschte Job in der wissenschaftlichen Politikberatung bei der Arbeiterkammer oder der Gewerkschaft blieb eine Seifenblase. 

Genau 10 Jahre später hat mir ein Headhunter den Job als österreich-weiter Marketingchef der Arbeiterkammer angetragen. Ich habe eine Serie von Hearings gewonnen und dann den Vertrag nicht unterschrieben, weil ich die damalige (!) Engstirnigkeit des damaligen (!) Präsidiums nicht ertragen konnte. Wäre heute vollkommen anders, aber aus tausend verschiedenen Gründen keine Option mehr. 


So verging die Zeit. Selbstverständlich habe ich sofort meinen Radius erweitert und fast 100 Bewerbungen in allen möglichen Richtungen laufen gehabt. Dabei hat sich sehr sehr häufig immer das gleiche Muster gezeigt: Ich habe es so gut wie immer bis zu den besten drei Finalisten geschafft. Dann riss der Faden. Ich wurde mit zwei gegenläufigen Argumenten abgeschossen, gegen die ich nichts in der Hand hatte. Die einen schickten mich weg mit der Begründung, als Politologe wäre ich doch ein Spezialist, man würde aber einen Generalisten suchen. Die anderen sahen in mir einen Generalisten, der die Anforderungen eines Spezialisten nicht erfüllte. Beide Argumente konnte ich damals nicht entkräften.

Am schlimmsten trieb es der Generaldirektor des Sparkassenverlags. Ich hatte mich ahnungslos in die Mühlen des Auswahlverfahrens begeben und erfuhr erst hinterher, dass der ausgeschriebene Job bereits dem Neffen des Generaldirektors versprochen worden war. Wieder war ich bei den besten drei Kandidaten des inszenierten Auswahlverfahrens. Vortanzen beim Oberkapo. Ich erschien im Nadelstreif und befleißigte mich ausgesucht guter Manieren. Nach 15 Minuten sagte der GD: „Herr Doktor, ich frage mich, warum Sie die ursprünglich geplante Diplomatenlaufbahn nicht verfolgen, Sie wären perfekt dafür geschaffen. Ihr Auftreten und Ihr ganzer Habitus…!“ Ich versuchte höflich zu erklären, warum diese Karriere ihren Reiz für mich verloren hatte, 

der GD unterbrach mich und strapazierte zwei mal sein Argument meines Erscheinungsbilds. Da bemerkte ich die Verarsche und sagte: „Wissen Sie, Herr Generaldirektor,  wenn es so sehr auf den Habitus ankommt, bin ich richtig froh, dass ich während des Studiums nicht Bodybuilding betrieben habe, denn sonst müsste ich ja jetzt als Dr. phil zum Zirkus gehen.“ Ich stand auf und verließ den Raum. Ein paar Wochen später erhielt ich für meine Diss den Sallinger-Preis und erzählte meinem Professor diese Anekdote. Er war sehr stolz auf mich. 

Eine Bewerbung nach der anderen verpuffte. Allmählich ging mir das Geld aus. Da wurde ich zum Gespräch mit einem Sektionschef im Sozialministerium eingeladen. Das Netzwerk der Sozialpartner hatte noch einmal funktioniert. Ich sehe mich noch gegen Abend das große Zimmer des Spitzenbeamten betreten. Wertvoller Teppich ausgelegt. Er sitzt hinter einem riesigen Schreibtisch, eine grüne Tischlampe ist das einzige Licht. Der erste seit Ewigkeiten, der wirklich wissen will, wer ich bin und was ich kann. Dann fragt er mich: „Sagen Sie, wovon leben Sie denn jetzt?“ Ich antworte: „Ich verbrauche die letzten Reste der Promotions-Prämien meiner Verwandtschaft und absolviere das Akademikertraining des AMS.“ Er: „Um Gottes Willen – da müssen wir etwas unternehmen!“ Tatsächlich hatte sich dann wenige Tage später ein Beamter gemeldet und mir einen Job im Ministerium angeboten. Dazwischen war aber etwas Anderes passiert. 

Ich hatte auf eine unfassbare Seltenheit reagiert. Eine Werbeagentur hatte inseriert, dass sie Hochschulabsolventen suchte, um sie als Berater auszubilden! Ich habe mich sofort gemeldet. Immerhin sollte mein Nebenfach Publizistik doch auch etwas wert sein. Wieder dringe ich in den inner circle der Bewerber vor. Da wendet sich das ganze Szenario. Bei einem der Gespräche sitzen zwei neue Personen mit am Tisch: Renate Skoff und Paul Sills – die Geschäftsführer der damals größten und ältesten PR Agentur Österreichs: Pubrel. Heute Hill and Knowlton. Und sie bieten mir an, PR Berater zu werden. Ich jubiliere. Ich hatte während des Studiums beim ÖH-Express geschrieben und war sofort Feuer und Flamme. 

Da bringt sich der Eigentümer ins Spiel. 

Ernst Haupt-Stummer. Ein Gentleman von Kopf bis Fuß. Er hatte mich beim vorletzten Gespräch sehr vorsichtig etwas gefragt. Wenn ich doch Politologe sei: Da würde ich doch sicher eine politische Meinung haben. Ich hatte rundheraus geantwortet, bei der letzten Wahl die Alternative Liste gewählt zu haben (die linke Vorläuferorganisation der späteren Grünen). Das war nun zum Thema geworden. Haupt-Stummer machte sich Sorgen, ob ich wohl mit dieser Einstellung einen seiner großen Kunden – die österreichische Zement-Industrie – betreuen könnte. Meine Antwort war klar: So lange es legal ist, hätte ich kein Problem. Ich würde nur niemals für die FPÖ, aber auch nicht für die KPÖ arbeiten können. 

Haupt-Stummer bittet mich, den Raum zu verlassen, er würde sich mit Renate und Paul beraten wollen. Ich stehe im großzügigen Foyer der Agentur. Da fragt mich seine Sekretärin: „Was ist denn mit Ihnen los? Warum müssen Sie denn so oft bei uns antanzen?“ Ich erkläre, dass ich schon wieder hier sei, weil ich die Alternative Liste gewählt hatte. Ihre Antwort: „Sie auch? Ich auch!“

Nachdem auch der Marketing-Chef von Telekabel (Kabel-TV), wo ich als Student 2500 Haushalte abgeklappert hatte, ein Loblied auf mich gezwitschert hatte, erhielt ich die Job-Zusage. Am 1. März 1984 startete ich als Greenhorn in der PR. 20 Jahre in der Kommunikationsbranche nahmen ihren Anfang.


Die Zeit in der Job-Suche hat mich lebenslang geprägt. Ich habe als späterer Chef niemals Kandidaten verarscht. Und ich kann auch heute noch jederzeit abrufen, wie elend man sich fühlt, wenn man arbeiten möchte, aber nicht darf. 


Und ich bin Renate Skoff und Paul Sills unendlich dankbar, dass sie mir eine Chance gegeben hatten. ❤