U-Bahn-Fahren gerät immer mehr zur Schule des Lebens. In der hektischsten Zeit des Jahres kann man wie durch ein Brennglas beobachten, was mit vielen Menschenwesen passiert. Je schneller sich die umgebenden Faktoren bewegen, umso langsamer wird der Mensch. Da sieht man dann die ins Smartphone gestürzten Individuen, die wie im Treibsand mit jedem Scroll immer mehr in der Bewusstlosigkeit versinken. Und mit aller nur denkbaren Heimtücke ist out of the blue die angestrebte Haltestelle erreicht. Das merkt man erst unbewusst und sehr spät, sodass in hektischer Überstürzung der Ausgang gesucht wird. Der Weg dorthin ist nur leider schon recht schwer begehbar, weil man sich gegen den Strom der Einsteigenden durchsetzen muss. All das geschieht in qualvoller Slow-Motion. Die Bewegungs-Apparate sind in sich unkoordiniert, die Reizleitung von einem narkotisierten Gehirn in die Muskulatur erfolgt nur höchst zögerlich, die Gesichter nehmen eine Mimik gelangweilter Dümmlichkeit an. Die ganz exponierten Exemplare dieser Spezies wollen auch beim Aussteigen nicht vom Screen der Handys lassen und stehen dann völlig orientierungslos am Bahnsteig – vorzugsweise mitten im Strom der noch Bewegungsfähigen.
Ohne große allegorische Fähigkeiten lässt sich aus dieser speziellen Beobachtung sehr gut auf generelle Entwicklungen schließen. Eine immer größere Mehrheit sitzt in einem Zug. Nicht mehr in der Lage zu erkennen, wohin die Reise geht. Wenn dann endlich die Erkenntnis reift, auszusteigen, gelingt dies nur mit großer Mühe, weil der Strom der hereindrängenden Einsteiger kaum überwunden werden kann. Die Folge: Orientierungslosigkeit am Bahnhof. Und eine chronische Verspätungs-Kaskade, weil die sedierte Mechanik des Ein- und Aussteigens die zeitgerechte (zeitgemäße) Weiterfahrt behindert. So ziehen dann – gefühlt – die Kulissen immer schneller an einem vorbei, während man sich immer mehr als Opfer der Geschwindigkeit empfindet, anstatt sich aus dem Wach-Koma zu befreien. Nur der Zugsführer hat noch den Überblick und maßregelt die Säumigen via Lautsprecherdurchsagen …