In den Jahren 1964 bis 1968 besuchte ich in Linz-Urfahr die Volksschule. Sie hieß "Kirchenschule", weil direkt daneben stand die alte Urfahraner Pfarrkirche, einen Steinwurf entfernt dehnte sich das Gelände des Urfahraner-Markts. Die Schule war ein altes Gemäuer, schon mein Ur-Großvater drückte dort die Schulbank. Nur wenig hatte sich seit seinem Schulbesuch dort geändert. Alte eiserne Öfen, die im Winter vom Schulwart in den Pausen mit frischen Kohleladungen befüllt wurden. Minimalistische Toiletteanlagen, kein Turnsaal. (Das Gebäude steht schon lange nicht mehr.)
Die Kinder kamen aus allen sozialen Schichten. Das war gut und extrem irritierend zugleich. Als Sprössling begüterter Eltern hatte ich alles an Ausstattung, was die Lehrerin sich so wünschte. Völlig unberührt von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern hatte sie sehr spezielle Vorstellungen von der Qualität der Utensilien, die wir benützen sollten. Als bis heute herausragendes Fanal ihrer Abgehobenheit erinnere ich mich an die Ölkreiden. Es gab damals eine unerschwinglich teure Marke namens "Caran d´ache" (keine Ahnung, ob die heute noch existiert). Die hatte sie sich eingebildet. Für meine Eltern kein Problem. Für die meisten eine unverschämte Herausforderung an das Familienbudget. Ich erinnere mich noch an die zynisch herabgezogenen Mundwinkel der Lehrerin, als die Kinder die billigeren Ölkreiden in der Zeichenstunde auspackten.
Viele der Unterrichtsbehelfe waren aus einer sehr weit zurückliegenden Zeit. Es gab noch Lesebücher in Kurrentschrift. Und natürlich waren die Schulbücher per se nicht gratis. Das merkte man an den zerschlissenen Büchern, die manche Kinder benützten - teils aus den abgenützten Beständen älterer Geschwister, teils aus antiquarischen Käufen. Herausgerissene Seiten, mit Tixo reingeklebt, Gekritzel der "Vorgänger".
Ganz besonders abgesehen hatte es die Lehrerin auf Willi. Er war der Sohn eines Rauchfangkehrers. Hatte Geschwister. Und lebte sichtlich in notgedrungen sparsamen Verhältnissen. Warum weiß ich eigentlich, dass er der Sohn eines Rauchfangkehrers war? Weil die Lehrerin immer wieder verächtlich auf diese Tatsache verwies.
Dann kam die vierte Klasse Volksschule. Und die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium. Wir waren 12 sogenannte "Gymnasiasten". So nannte uns die Volksschul-Lehrerin, wenn der Schuldirektor, der stolz immer noch sein Hitlerbärtchen trug, die Klasse betrat. Die Lehrerin rief "Gymnasiasten auf!" und wir mussten aufstehen, um vom Direktor kritisch gemustert zu werden. Der Drill für die Aufnahmeprüfung war dicht getaktet. Die Frau meines Paten - die liebe Tante Hilde - war Volksschullehrerin und hatte sich für ihren Sohn und mich ein strenges Übungsprogramm zurechtgelegt. Sie besaß alle Aufgaben der Aufnahmeprüfungen der zurückliegenden 10 Jahre und trainierte uns auf strikte zeitgestoppte Lösung. Sogar wir erkannten, wie die Schwierigkeitsgrade über die Jahre extrem zugenommen hatten.
Die Aufnahmsprüfung verlief dann ruhig und unspektakulär. Ich konnte alle Aufgaben lösen und beruhigte meine nervöse Mutter, die in den Aufenthaltsräumen auf mich wartete.
In den Ferien vor der 1. Klasse Gymnasium kaufte mein Vater alle Schulbücher, die in einem Aushang in der Schule gelistet waren. Nagelneu. Nach Druckerschwärze duftend. Während der ersten Wochen in der Khevenhüllerschule tauchte wieder der Klassenunterschied auf. Mitschüler hatten Atlanten (für FPÖ-Wähler: Das ist der Plural von Atlas), die waren so alt, dass die Landesgrenzen nicht mehr stimmten. Der Schulweg war durchaus weit und wurde von Mitschülern zu Fuß zurückgelegt, weil die Eltern sich die Monatskarten für die Öffis nicht leisten konnten. Schulausflüge, Schikurse wurden für die Kinder wirtschaftlich schwacher Eltern durch Zuschüsse des Elternvereins gestützt. Auch die Lehrbehelfe der Lehrer im Unterricht stammten sichtlich aus weit zurückliegenden Zeiten. Wir saßen tatsächlich noch in Schulbänken, wo in den Tischplatten noch die Löcher für die Tintenfässer freigelassen waren. Herrlich fürs "Zicken" - das Tischfußball mit Lineal, zwei Schillingen und einem Zehngroschen-Stück. Auch hier gab es Lehrer, die noch sehr klassenbewusst waren.
"Kugelschreiber, so ein proletarisches Schreibgerät! Geh nach Hause und sag Deinem Vater, er soll Dir eine Füllfeder kaufen!"
Dann kam das Jahr 1970. Kreisky hatte eine relative Mehrheit bei den Wahlen geschafft. Ein Jahr später dann die Absolute. Und dann gab es das Gratis-Schulbuch, die Gratis-Schulfahrt und eine Reihe von Unterstützungen, sodass sich viel mehr Eltern das Gymnasium für ihre Kinder leisten konnten. Und es wurde die Aufnahmeprüfung - dieses reaktionär-lächerliche Selektions-Kriterium - abgeschafft.
Heute muss der politisch überforderte Bildungsminister unter dem Druck der pädagogischen Käseschachtel-Träger über "Kompetenz-Feststellungen" bei 9-Jährigen nachdenken...
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