Coaching. Mein Leben.

In ein paar Wochen starte ich ins 15. Jahr meines zweiten Berufslebens als Wirtschafts-Coach. Und die wichtigste gute Nachricht nach dieser doch schon recht langen Zeit ist: In meinem gesamten Berufsleben hatte ich keine andere Periode, in der ich mich so lange und so stabil wohl gefühlt habe. 

Im Jahr 2004 haben mich drei Geschäftsführer unserer Agentur-Kundenunternehmen unabhängig voneinander zum Essen eingeladen. Und zumindest damals war das kein gutes Zeichen. Wenn der Kunde den Agenturchef zum Essen einlud, war das meist das freundschaftliche Signal, dass die Geschäftsbeziehung dem Ende zustrebte. Der Kunde wollte das eben in einer amikalen Atmosphäre mitteilen. Zum Glück war das bei uns nicht so. Der Grund der Einladungen lag in persönlichen Fragestellungen, die meine Kunden als Führungskräfte hatten und für die sie meinen Rat wollten. So habe ich dankbar für die Einladung Ratschläge erteilt und war mehr als verblüfft, als die Empfehlungen nicht nur umgesetzt wurden, sondern auch funktionierten.

Schon zwei, drei Jahre zuvor hatte mich die Sehnsucht nach „etwas mit Substanz" umgetrieben. Eine befreundete Journalistin, mit der ich mich regelmäßig vergnüglich austauschte, musste jedes Mal lachen, wenn ich wieder davon anfing. Und nun wurde es immer klarer. Der Zufall – es gibt keinen! – wollte es, dass im Büro einer guten Bekannten der Folder eines Ausbildungs-Instituts lag, wo eben diese Bekannte grade eben als Business Coach zertifiziert worden war. Was fehlte also noch? Viel und wenig zugleich.

Natürlich der Ausstieg aus der Agentur mit Anteilsverkauf und allerlei zwischenmenschlichen Kalamitäten, aber auch großartigen Loyalitäten. Dann die Erklärung an die Familie mit ungewohntem Gegenwind aus nicht erwarteter Ecke und Erleichterung dort, wo ich keinen Schmerz vermutet hätte. Diese Zäsur hat dann doch private Veränderungen beschleunigt, die ich zwar sehr diffus wollte, aber lange vor mir hergeschoben hatte. 

Anmeldung beim Ausbildungs-Institut. Vorfreude. Kribbeln. Erwartungen, Ambitionen, Kampfgeist.

Es geht los. 

9 TeilnehmerInnen. Ich bin der einzige, der die Ausbildung nicht berufsbegleitend macht, sondern sich fulltime darauf konzentrieren kann. Seitdem knie ich vor allen, die arbeiten und zusätzlich eine Ausbildung machen. Gut erkennbar: etwa ein Drittel macht die Ausbildung, um auch ansatzweise Selbst-Therapie zu betreiben. Man merkt das, weil sie bei den Übungs-Coachings immer mit dem selben Thema aufschlagen und erst dann aufhören, nachdem jeder Kollege ein mal da durch musste. Alle machen die Ausbildung als Zusatz-Qualifikation, ich bin der einzige, der Coaching als seinen (neuen) Beruf gewählt hat. 

Wir lernen. Viel. Die Ausbildung ist unglaublich profund, streng in ihrer orthodoxen Auffassung, kreativ, aufrührerisch und brutal in ihrem Verlangen nach dem Bruch mit bisherigen Mustern. Meine größte Baustelle: Der Umstieg vom Berater zum Coach. Vom Ratgeber zum Helfenden bei der Schatzsuche im Klienten-Bergwerk. Bis heute vibriert dieser Anspruch in mir, auch wenn ich mir ab und zu lustvoll erlaube, eine Empfehlung auszusprechen oder einem entkräfteten Menschen punktuell auf die Beine zu helfen. Aber den grundlegenden Anspruch der Hilfe zur Selbsthilfe werde ich nie ablegen. Weil mir jeder manipulative Ansatz in der Seele zuwider ist und ich Zynismen dieser Art einfach nicht ertrage. So viel Lernen. Tools, Interventionen, spielerische Übungen. Geduld. Ganz viel Geduld. Auch heute noch gibt es diese Situationen, wo die Gedanken-Zahnräder im Kopf des Klienten rattern, ich das bemerke und mir eher die Zunge abbeiße, bevor ich dem Klienten durch eine eigene Wortmeldung zuvorkomme. 

Einmal – bei einem Übungs-Coaching in der Akademie – platzt mir allerdings der Kragen. Die herbeigeschaffte Übungs-Klientin macht sich einen Sport daraus, uns vorzuführen und schickt uns immer wieder im Kreis herum, ohne auf irgendeine Disruption reagieren zu wollen. Später, in der Reflexion, fragt mich die Leiterin, was mir bei dieser Übung besonders gut gelungen ist und ich platze heraus: „Diese Klientin ertragen zu haben!“

Nach einem dreiviertel Jahr und einem recht gut gelungenen Schluss-Coaching, bei dem mir ein lieber Freund, der sich zur Verfügung stellt, ohne es zu ahnen meine damalige Lieblings-Intervention regelrecht vor die Füße rollt, kriege ich am letzten Tag des Ausbildungs-Zyklus meine Zertifizierung für den gesamten deutschsprachigen Raum. Sidestep zur Lieblings-Intervention: Niemals so etwas auf Dauer einreißen lassen. Wird zur besonders tückischen Komfort-Zone …

Ein Marathon mit bisher mehr als 4000 gecoachten Personen, Dramen und Durchbrüchen, Lebens-Revolutionen und ganz kleinen kosmetischen Veränderungen, Fusionen und Schließungen beginnt. Schicksale und Karrieren nehmen Wendungen, Freudentränen und bittere Erkenntnisse bahnen sich ihre Wege durch so viele verschiedene Gesichter. Vertrauen – die nicht verhandelbare Basis. Empathie – der Zaubertrank, der ganz geheime Wünsche und Sehnsüchte sichtbar macht. Erfahrung. Mit jedem Tag mehr wächst die Sicherheit, dass kein Mensch dem anderen gleicht und doch so manche Muster häufiger vorkommen, als man es sich vorstellen kann. 

Mit den Jahren wächst die wohltuende Routine und die Gewissheit, doch immer noch eine Lösung gefunden zu haben. Und wenn diese Lösung darin besteht, den Klienten in die Therapie zu schicken, weil die eigenen Tools nicht reichen. Diese Erkenntnis der Selbst-Beschränkung ist so viel mehr wert, als der Sieg der Eitelkeit und das Dilettieren auf Feldern, wo man nicht hingehört. Über allem schwebt das gute Gefühl, mit jedem Tag immer noch besser zu werden und das Leben, das man bisher gelebt hat, als unbezahlbare Ressource einbringen zu dürfen und dafür auch Wertschätzung zu erhalten. 

In Summe: Am Menschen so nah dran sein zu dürfen, ist Privileg und Prüfung zugleich. Mein Leitgedanke wird jeden Tag aufs Neue erleb- und genießbar: Ich bin ein Humanizer.