Opa erzählt vom Krieg

So komm ich mir manchmal vor, wenn ich von Zeiten rede, die aus meiner Sicht noch gar nicht so lange her sind. Und trotzdem betreffen meine Erinnerungen Jahre, in denen meine erwachsenen Kinder noch gar nicht geboren waren.

 

Meine Erstgeborene ist z.B. 32 Jahre alt…

 

Ich erinnere mich noch ganz genau, wie sehr es mich geärgert hat, wenn Kreisky in der Blüte seines Amtes Kritiker oder zumindest kritisch Fragende im wahrsten Sinn des Wortes „abgekanzelt“ hat. Oder wie er 1,2 Millionen Unterschriften gegen das Wiener Konferenz-Zentrum weggewischt hat mit der Bemerkung: Ja, aber alle anderen sind offensichtlich dafür.

 

Ganz zu schweigen von der Halsstarrigkeit beim Thema „Zwentendorf“. Wie man sieht: Whataboutism ist wirklich kinderleicht. Es findet sich für (fast!) alles ein historisches Gegenbeispiel der Gegenseite.

 

Der Unterschied: Kreisky hatte in den Jahren davor mit seinem Team eine beispiellose Modernisierung von Staat und Gesellschaft umgesetzt – oder auch: durchgedrückt – je nach Sichtweise. Und seine Modernisierung war wirklich eine. Im Unterschied zu allem, was uns jetzt als Reform angedient/angetan/zugemutet wird. Das ist tatsächlich ein Retro-Kurs, den mein eigener Großvater schon altbacken empfunden hätte.

 

Und bevor jetzt das Totschlag-Argument mit den Schulden kommt: Die Verschuldung in der Kreisky-Zeit war sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ erheblich niedriger, als das, was wir heute haben. Die schlaflosen Nächte, die Kreisky wegen der Arbeitslosigkeit vermeiden wollte, würden so manchem heutigen Akteur ganz gut anstehen. Und ich beschwere mich ja nicht einmal über den heutigen Schuldenstand – haben doch seit 18 Jahren durchwegs ÖVP-Minister auf das Staatsgeld aufgepasst. Und die verstehen ja schließlich was vom Sparen…

 

Was mich wirklich unruhig bis geradezu ängstlich macht, ist der fahrlässige Umgang mit den Grundlagen der Demokratie. Ja, niemand will die absurde Packelei hinter sozialpartnerschaftlichen Polstertüren in der Hochblüte dieser österreichischen Spezialität aus der Zeit nach dem Krieg wieder haben. Als 40 Leute, von niemandem gewählt, sondern von ihren Verbänden delegiert, völlig unbekümmert am Parlament vorbeiregiert haben. (In der sogenannten Paritätischen Kommission für Preis- und Lohnfragen.)

 

Aber: Bei allen zum Himmel stinkenden Defiziten der demokratischen Legitimation gab es doch einen Konsens, dass man über den „anderen“ nicht so einfach drüberfahren kann und dem Verhandlungspartner die Chance lassen sollte, sein Gesicht zu wahren.

 

 

 

Damit ist es jetzt vorbei.

 

Die großkoalitionäre Unsitte, dem Anderen keinen Erfolg zu gönnen, wurde nun zwar in der aktuellen Regierung totgeschwiegen. Dafür konzentriert man die ganze Kraft auf die Verhinderung und Ignoranz jeder nur denkbaren vernünftigen Idee aus der Opposition.

 

Das ist ein dauernder und immer heftiger werdender Anschlag auf die Demokratie.

 

Demokratie ist nicht und kann nicht sein das institutionalisierte Recht des Stärkeren.

 

In einem solchen politischen Faustrecht wäre die Demokratie auch schon längst gestorben.

 

Und vielleicht ist das ja auch der heimliche Sinn der ganzen aktuellen Verwerfungen:

 

Das demokratische System durch eine Schein-Demokratie zu ersetzen.

 

Mit zirkusreifem Umgang mit Fakten und Zahlen, Brot und Spielen und einer sorgsam gepflegten Kultur von Feindbildern, die ganz nach Belieben für alles, was man selbst vergeigt, dann schuld sein dürfen.

 

Apropos Schuld. Ein mir sehr am Herzen liegender Psychiater pflegte immer zu sagen:

 

„Es gibt keine Schuld. Schuld ist was für Katholiken und Kriminelle. Die brauchen das.“

 

 

 

Demokratie ist andauernde Schwerarbeit im Umgang mit dem Anders-Sein der Anderen.

 

Und sollte jeden Tag den Verdacht zulassen, dass dieser „Andere“ auch recht haben könnte.

 

Recht haben zulassen. Statt Schuld zuzuweisen. Davon sind wir jeden Tag immer weiter entfernt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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