Irgendetwas in mir wehrt sich, den heute an verschiedenen veröffentlichten Plätzen benützten Begriff "Bürgerkrieg" zur Beschreibung der Ereignisse vor 85 Jahren zu akzeptieren. Auch wenn sich Historiker nicht schlüssig darauf einigen können, was das Kriterium "Bürgerkrieg" erfüllt, so hänge ich doch eher denen an, die einen (feinen, aber wichtigen) Unterschied zwischen "Bürgerkrieg" und "Aufstand" machen wollen.
Für mich besteht der Bürgerkrieg doch eher in einer bewaffneten Auseinandersetzung von potenziell gleich starken Gegnern (so wie beim amerikanischen Sezessionskrieg oder dem spanischen Bürgerkrieg). Was am 12. Februar 1934 in Linz seinen Anfang nahm, war aber nach meinem Dafürhalten ein bewaffneter Aufstand gegen den Austro-Faschismus und gegen die Abschaffung der Demokratie.
Beide Lager waren mit bewaffneten Verbänden militarisiert - Heimwehr und Schutzbund - und doch war es von Anfang an ein ungleicher Kampf, wie auch die Uneinigkeit innerhalb der sozialdemokratischen Führung zur bewaffneten Konfliktaustragung illustriert.
Die von Beginn an "schiefe" Kräfteverteilung und der Einsatz des Bundesheeres gegen die Aufständischen geben mir eher die Sicherheit, von einem Aufstand sprechen zu können.
Dazu kommt die unglaublich brutale und unmenschliche Behandlung der Geschlagenen. Das Dollfuß-Regime schreckte nicht einmal davor zurück, einen schwer verletzten Sozialdemokraten auf der Bahre zur Hinrichtung schleppen zu lassen.
Dann wurde das Dollfuß/Schuschnigg-Regime doch noch "überhitlert" - aber eben anders, als es sich die Austro-Faschisten mit diesem von ihnen benützten Begriff vorgestellt hatten. Und es kam die "Lagerstraße" - das gemeinsame Erlebnis der bisherigen Austro-Faschisten und der linken Parteigänger im Konzentrations-Lager.
Selbst dort gab es noch Unterschiede - wie man in Franz Olahs Autobiografie nachlesen kann. Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten gab es nicht einmal im KZ eine ausreichend große Gemeinsamkeit.
Auf der "Legende" der Lagerstraße wurde das österreichische politische System nach dem Weltkrieg gezimmert - mit seiner Verdichtung in der Sozialpartnerschaft, dem "Klassenkampf am grünen Tisch", wie Kreisky es bezeichnete.
Mit den Jahren starben die Repräsentanten dieses Anfangs-Konsenses und mit ihnen verschwand auch das erlebte Bedrohungsbild einer bewaffneten Unversöhnlichkeit der Lager, die sich eben das Leid der Lagerstraße teilen mussten.
Und die Agonie der Großen Koalitionen breitete sich aus und mit ihr die Versuchung, den demokratischen Esel aufs Eis tanzen zu schicken. In meiner oberösterreichischen Heimat nennt man so eine Einstellung "bummerlwitzig".
Nun sieht es so aus, als würden die alten Gräben von geschichts- und bewusstlosen Hasardeuren wieder aufgerissen. Wobei diese Hasardeure ja nicht einmal wissen, an welchen Fundamenten sie sich zu schaffen machen - die "Geschichtenerzähler" von damals wurden vom Story-Telling der Message-Control abgelöst.
Und obwohl nur mehr ganz wenige das Gen des Interessensausgleichs in sich tragen und ganz viele im Modus Sieger und Besiegte ticken, werden wir zwar ganz sicher keinen weiteren "Bürgerkrieg" haben, wie ihn so mancher verschwitzter Wehrsportler herbeifantasiert. Aber einen planmäßigen Abbau von Brücken und den bewussten Verzicht auf "Dolmetscher" können wir gut beobachten.
Die politischen Lager sind wieder in ihre Befestigungen zurückgekehrt und schauen durch schmale Schießscharten in die Welt.
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