Über meinen Opi väterlicherseits habe ich schon des öfteren geschrieben.
Heute war er mir wieder so nah und ich möchte einfach aufschreiben, was mir so durch den Kopf gegangen ist und mein Herz berührt hat.
Ich bedauere so sehr, dass er nur bis zu meinem 11. Lebensjahr gelebt hat.
10 Jahre länger und ich hätte noch so viel von ihm erfahren können. In meiner Familie war Politik immer Thema und so habe ich schon als Volksschüler die "Zeit im Bild" als abendliches Pflicht-Ritual erlebt. Weil der Opi für mich viel zu früh gestorben ist, fehlt mir trotzdem so viel an authentischer Grundaussage von ihm.
Opi war ein überzeugter Anti-Faschist. Das hat ihn zuerst sein Amt als Bürgermeister in seiner kleinen südböhmischen Stadt gekostet und etwas später beinahe das Leben.
Als er nach der Annektion von Böhmen und Mähren durch Hitler-Deutschland ins nur
14 km entfernte Bad Leonfelden fuhr, um dort Geschäfte zu machen, wollte man ihn dort aufhängen, weil er eben gegen diese Annektion war. Mit Glück entkam er dem aufgebrachten Mob. Jahre nach dem Krieg kam er mit seinem Sohn (meinem Vater) und dessen Familie übers Wochenende wieder nach Bad Leonfelden und saß mit den selben Leuten, die ihn aufhängen wollten, am Stammtisch.
Darüber würde ich heute so gerne mit ihm reden. Wie er das geschafft hat. Ich weiß nicht, ob ich die Ruhe aufbrächte, mit Leuten zu essen und zu trinken, die mir mit dem Strick in der Hand begegnet sind.
Oder das Verhältnis meiner Großväter zueinander. In der Familie meiner Mutter gab es eine Reihe sogar schwerbelasteter Nazis, die nach dem Krieg in Glasenbach eingesessen waren. Mein anderer Opi war ein typischer Nazi-Mitläufer und bis zu seinem Tod deutsch-national. Einer seiner Söhne - mein Stiefonkel - war (ist?) ein leidenschaftlicher Burschenschafter.
Ich weiß nicht, wie meine Großväter miteinander umgehen konnten. So, wie sie halt waren. Vielleicht war die Schnittmenge der gemeinsame Zorn über Sonnberger-Opis Enteignung und Rauswurf aus dem Sudetenland. Ich weiß nur, dass mich der andere Opi beim Begräbnis vom Sonnberger-Opi sehr liebevoll getröstet hat und ich jahrzehntelang später noch spüren konnte, wie der 11-Jährige seinen Kopf an die breite Brust des großen Opis gelegt hat und dort weinen durfte.
Er fehlt mir immer noch, der Sonnberger-Opi.
Ein bisschen was von seinem Sturschädel hab ich geerbt. Ob ich so tapfer gewesen wäre, wie er, bezweifle ich. Und ob ich mit meinen Feinden einen so alltagsgerechten Modus gefunden hätte, ebenfalls.
Ihn mir herbeizudenken, mit seinen kraftvollen Händen, seinen kindgerechten Geschichten, seinen Spitzbübereien, seiner unglaublichen Zugewandtheit und seinem rabiaten männlichen Charme tut mir bis heute gut.
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Renate Skoff (Montag, 25 März 2019 03:24)
Das ist eine sehr berührende Geschichte. In meiner Familie väterlicherseits waren alle gstandene „Sozis“, während es in meiner mütterlichseitigen Familie viele ebenso gstandene Nazis gab. Bei dir, Hannes, war es genau so. Ich frage mich, was die Gründe dafür sind.