Rock 'n' Roll.

Wha ba ba loo bam, ba lam bam boo. 

Das ist der Kampfruf, mit dem "Tutti Frutti" eingekreischt wird, bevor es so richtig los geht. Der Vorbrüller vor der Hall of Fame ist Little Richard, der kleine irre Schreihals mit dem pencil-thin-moustache und den Diamant-Klunkern an den pianotrainierten Fingern.

Legendär der Ausspruch meiner Steyrer-Omi, nachdem sie sich eine akustische Kostprobe von "Tutti Frutti" reingezogen hatte: "Der ist aber heiser!"

Little Richard war eine der ersten Landmarks meiner lebenslangen Liebe zum Rock´n´Roll, aber nicht die wichtigste. Mein Heiliger in der Hall of Fame - von der "Presse" bei seinem Ableben ehrfürchtig als "Homer des Rock´n´Roll" bezeichnet - ist und bleibt Chuck Berry.

Bevor ich ihm und ein paar anderen hier huldige, möchte ich beschreiben, was Rock´n´Roll für mich ist. Seit ich Musik bewusst wahrnehme, sind Swing-Musik und eben Rock´n´Roll zu einem Elixier der Freude an Rhythmus und Melodie geworden.

Es ist dieses drängende, stampfende, zwingende Grollen, das unter der Musik liegt und sich direkt in meine Eingeweide einschleicht. Von dort pflanzt es sich fort in meine Hüften und die Beine, die Knöchel und die Füße und simultan fangen die Finger zu schnippen an und die Hände wollen den Takt trommeln.

Wer schon einmal die Freude hatte, Rock´n´Roll live gespielt zu sehen, kennt wahrscheinlich das Drummer-Ritual, beim dritten Schlag einen Arm mit dem Stick hochzuhalten - quasi als optischen Beweis, dass der Rhythmus einfach einen unglaublich genussvollen Zwang ausübt.

Gegen den damaligen Zeitgeist, fuhr der Dibbuk der rocking Fifties Anfang der 70er in mich hinein und wird seitdem fürsorglich von mir gehätschelt. Es war nicht Elvis - der war damals auf der Schnulzen-Schleimspur ausgerutscht. Und sein "In the Ghetto" war und ist zwar ein unglaublich berührendes Werk der sozialen Anklage, war aber für den 12-Jährigen damals ungerechterweise nicht so prickelnd. Mein erstes musikalisches Leittier war Jerry Lee Lewis. Mit "Chantilly Lace", das sich irgendwie in den Ö3-Wecker getrickst hatte, wachte ich auf und hatte tagelange Ohrwürmer in mir verankert.

"Hello, you good looking thing you - well, yeah, this is the Killer speaking…" und schon hämmerten sich gnadenlose Klavier-Attacken in meine willenlos gemachten Ohren.

Witzigerweise ging ich mit dem Rock´n´Roll genauso um, wie einige Jahre später mit der Wissenschaft. Ich kaufte mir ein paar Sampler, auf denen sich die wichtigsten Vertreter der von mir mit Sucht-Faktor verehrten Musik tummelten und ruck zuck hatte ich einen recht guten Überblick über meine Lieblings-Interpreten und ihre ganz typische Art, sich auszutoben. Genauso habe ich mir im Studium spezielle Themengebiete erschlossen: Sammelbände zu bestimmten Themen, von klugen Herausgebern editiert, dienten mir immer als erste Einstiegsluken in große Felder. 

Nun. Die Sampler. Da waren Fats Domino, den ich live in der Linzer Sporthalle genoss. Mit seinem gewaltigen Bauch hatte er den Konzertflügel im Gehen und Spielen quer über die ganze Bühne geschoben. Oder Eddie Cochran, der mit 21 Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückte und in Optik und Wesen eine verblüffende Ähnlichkeit mit James Dean hatte. Im "Summertime Blues" beschwerte er sich, wie beschissen die braven 50er-Jahre-Eltern mit ihren Sprößlingen umgingen und auch die Politiker keine offenen Ohren haben wollten: "Sorry son, you´re too young to vote." Eddie war ganz besonders eng mit Gene Vincent befreundet, der einmal ihre Verbindung so beschrieb: "Wir liebten uns so, wie heterosexuelle Männer sich maximal lieben können." 

Dann war da Roy Orbison, der mit "Pretty Woman" wohl einen all-time-hammer gelandet hat. Und Jerry Lee Lewis. Der Wahnsinnige aus Louisiana. In hyper-religiösen Predigerkreisen aufgewachsen, hatte er eine besonders "unanständige" Textierung und absolut durchgeknallte Piano-Attacken drauf. Eine echte akustische Brand, wo man bei den ersten Takten schon weiß, wie der Hase läuft. "Great Balls of Fire" hat eine solch unbändig-zwingende Mechanik, dass sich selbst stolze Besitzer von mit Wachs verklebten Schweinsohren nicht mehr zu helfen wissen. Unfassbar gut, wie Dennis Quaid den jungen Jerry Lee im Film "Great Balls of Fire" spielte und wie authentisch die Szene gelang, in der Jerry Lee sein Klavier auf der Bühne anzündete, nur um dem nach ihm auftretenden Chuck Berry die Show zu stehlen.

Chuck Berry! Für mich der absolute und unerreichte, einzige und alleinige King of Rock´n´Roll! Er hat als besonders authentischer Botschafter dieser "neuen" Musikrichtung die Brücke zur Wurzel des Rhythm and Blues gebaut und in die allgemeine Aufmüpfigkeit der Musik auch die Rassenthematik integriert.

Wer "Johnny B. Goode" oder "Roll over Beethoven" oder "Memphis" oder "Little Queenie" und so weiter und so fort, es könnte eine Ewigkeit weitergehen, gehört hat, kommt nie wieder aus diesem Suchtfaktor raus. "Roll over Beethoven" hat er als Gegengift zu den notorischen klassischen Klavierübungen seiner Schwester geschrieben: "Roll over Beethoven, tell Tschaikovsky the News!". In seiner Biographie beschreibt er den Rassismus in den Süd-Staaten, die in den 50er-Jahren Gesetze hatten, in denen es verboten war, dass weiße Frauen mit schwarzen Männern gemeinsam im Auto fuhren. Wer es trotzdem tat, musste damit rechnen, zur Polizei gebracht zu werden, wo der Frau eine prophylaktische Penizillin-Spritze zwangsverabreicht wurde - wegen der "Gefahr" der Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit. Chuck Berry war ein manischer Lerner. Während einem seiner Gefängnis-Aufenthalte (ihm wurde nach den Südstaaten-Gesetzen der Missbrauch einer Minderjährigen zur Last gelegt), hat er eine Handwerker-Lehre abgeschlossen. Er war das Idol speziell der Teenager - auch und gerade der weißen. Viele seiner Songs spielen im High-School-Milieu. 

Ganz berühmt wurde er durch seine artistischen Einlagen bei Live-Konzerten und hier besonders mit dem "Duck-Walk", bei dem er in die Knie ging und ein gestrecktes Bein wippend vor sich her bewegte. Ich habe ihn in den 80er Jahren in Wien in der Stadthalle gesehen. Er war schon sichtlich gealtert und schleppte sich ein bisschen mit langen Wiederholungen über die Distanz, aber den Duck-Walk hatte er noch drauf!

Vor einem Jahr habe ich mit meinem wunderbaren Bruder drei Lieder einstudiert, die mir eine gnädige Zuhörerschaft als Show-Einlage bei meinem 60er Geburtstagsfest durchgehen ließ. Mein unendlich talentierter Bruder an der Stromgitarre und ein leidenschaftlicher Vokal-Dilettant am Mikrophon. Ich habe es so sehr geliebt.

Natürlich habe ich zwei Songs von Chuck Berry gesungen. Eine auf mich umgetextete Fassung von "Johnny B. Goode" und für meine drei Königinnen - Frau und Töchter - "Little Queenie" (There she is again, standing over by the record-machine. Looking like a model on the cover of a Magazine.)

Natürlich gibt es beim Rock´n´Roll auch eine ganze Kategorie von Songs, die man nur noch als textlich dadaistisch bezeichnen kann: One and one is two, two and two is four, love me just a little bit more. Oder: I got a girl named bony Maroni. She´s as skinny as a stick of maccharoni. Solche herrlichen Dummheiten gibt es zahllos. Aber was soll man machen, wenn der Rhythmus so ist, dass man einfach mitmuss.

Es ist gar nicht möglich, auf die vielen anderen vermeintlichen Kings and Queens of Rock´n´Roll hier einzugehen. Selbstverständlich hat Elvis in der Zeit, bevor er zum Militär musste, unendlich Wertvolles geleistet. Mit "Jailhouse Rock", "Hounddog", "Heartbreak-Hotel" und vielen anderen Smash-Hits hat er (zurecht!) rassenübergreifende Begeisterung ausgelöst . Oder Bill Haley - ein Gigant der Szene, dessen revolutionärer Touch ein bisschen darunter zu leiden begann, als rauskam, dass er brav verheiratet war und fünf Kinder hatte. 

Eigenartigerweise waren mir die weichgespülten Vertreter des Rock´n´Roll, die sozusagen auch auf gutbürgerlichen Plattentellern rotieren durften, nie sympathisch.

Pat Boone war eine Schmalzlawine, selbst als er versuchte, ein bisschen Gas zu geben und von Bobby Darin ist nur "Splish Splash" auszuhalten. 

All time heroes wie Chuck Berry hatten ihren Einfluss auf die nächste und die übernächste Generation geltend machen können. Die Stones bekennen sich ganz direkt zu seinen Impulsen. Und sogar in Woodstock hat Ten Years After mit seinem Rock´n´Roll- Medley "Going Home" den Schlamm zum Kochen gebracht. 

Für mich ist diese Art Musik ein so unverzichtbarer Begleiter geworden, dass ich mir mein musikalisches Empfinden "ohne" gar nicht vorstellen kann. Nicht zufällig war der erste Tanz, den meine geliebte Gabi und ich tanzten, "Roll over Beethoven". Und wenn wir es nicht schon vorher gewusst hätten: Spätestens dann war uns klar, dass wir im gleichen Rhythmus schwingen.

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