Selbsterkenntnis.

Eine dicht gestaffelte und trotzdem unkoordinierte Serie von Impulsen aus meiner nächsten Nähe hat zu ein paar Erkentnissen geführt, die mir viel bedeuten.

Liebevolle Kommentare vor allem von meiner geliebten Frau und Zurufe aus dem Freundeskreis ziehen grade ihre Spuren.

Der Tenor: Ich soll meine Empörung besser dimensionieren und auch fokussieren. 

Kleine Auslöser, die allesamt zeigen, wie egoistisch und entsolidarisiert wir schon geworden sind, verursachen immer öfter große und entrüstete Abwehrmechanismen bei mir. Das führt dann zu unkontrollierter Schnappatmung meinerseits. Ich möge mich doch bitte einkriegen und runterkommen sind die freundschaftlichen und liebevollen Zurufe.

Die ich sehr ernst nehmen will. 

Und dann war da auch eine traurige Nachricht aus unserem Kreis hier, dass die herrschenden Umstände zu depressiven Verstimmungen führen würden - was ich sehr empathisch nachvollziehen kann. 

Alles in allem ist ein Gedanken-Karussel angesprungen, dessen Ergebnisse ich für mich anwenden möchte.

Ironischerweise erlebe ich an mir selbst die Auswirkungen eines falsch kalibrierten Musters, vor dem ich als Profi meine KundInnen bewahren kann - nur mich selbst nicht (Motto: Beim Dachdecker regnet's rein).

Das Stichwort heißt Stress.

Dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Physik und beschreibt den Ausdauertest eines Materials, bis es dem Dauerfeuer der Belastungen unterliegt. Bei IKEA kann man das gut beobachten, wenn ein Metall-Arm regelmäßig ein Sofa drückt, um zu demonstrieren, wie belastbar Stoff und Fülle sind. 

Der Stress, dem wir Menschen unterliegen, ist ganz ähnlich. Sogenannte Stressoren verursachen zunächst einmal die positive Mobilisierung von Ressourcen, um rasch und effektiv eine Bedrohungs-Situation zu überwinden. Wenn es zwischen diesen Attacken regelmäßige Pausen gibt, in denen man sich erholen kann, nennt man das Modell "Eu-Stress" (den guten Stress). 

Gibt es keine Erholungsphasen, dann steigt der Stresspegel ungebremst weiter, bis er die Oberkante des Schutzsystems überschreitet.

Dann bricht der Damm. So einen Stress nennt man Dis-Stress. Im worst case mündet der Dis-Stress in den Burn Out. 

Auf unsere Verhältnisse bezogen, befinden wir uns nun in einer Entwicklung, in der das Regime eine ungebremste Serie von Dis-Stress-Reizen auf uns einprasseln lässt: Die tägliche Flüchtlings-Sauerei, die Anschläge auf den Arbeitnehmerschutz, der Mindestsicherungs-Sadismus, die vielen kleinen bösartig-reaktionären Nadelstiche.

Jemand wie ich reagiert auf jeden einzelnen dieser boshaften Trigger. Bis die Batterie leer ist und der Motor stottert.

Und wenn dann die Bomben in das Herz des Systems fliegen - Pressefreiheit, Menschenrechte, Demokratie, Verfassung - ist dann bei Leuten wie mir der Betonmantel des Bunkers voller Brüche und Risse. Ein Volltreffer genügt und die materialermüdete Konstruktion bricht (über mir) zusammen.

Ich gewinne den Eindruck, dass es der Masterplan des Regimes genau darauf anlegt: Den Burn-Out des Systems und des Widerstands seiner Beschützer.

Mein persönlicher Schluss aus all dem:

Strikteste Wachsamkeit gegenüber allen Über- und Untergriffen, die es darauf anlegen, die Grundlagen unserer pluralistisch-liberalen Demokratie sturmreif zu schießen: Bildung, Medien, Menschenrechte, Schutz der Institutionen, EU...

Kontrollierte Empörung gegenüber den vielen schrecklichen kleinen Nadelstichen, die wesentlich darauf angelegt sind, uns so zu ermüden, bis wir gegen die unübersehbar geplante Schluss-Offensive gegen das System an sich keine Abwehr mehr auf die Reihe kriegen.

Zu meiner inneren Bestätigung bin ich mit dieser Vermutung nicht alleine. Einige in der DNA gut abgesicherte "schwarze" (nicht türkise!) Granden artikulieren ähnliche Sorgen betreffend das Entstehen einer Dritten Republik jetzt auch schon öffentlich.


Vielleicht ist dieser Zugang auch ein bisschen wirksamer gegenüber dem Mainstream, dem es am Arsch vorbeigeht, ob Flüchtlinge de facto Sklavenarbeit um 1 Euro 50 die Stunde verrichten oder ob die angeblichen Sozialschmarotzer aus der angeblichen Hängematte vertrieben werden. 

Vielleicht ist die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die großflächige Ignoranz sozialer Mindeststandards ein stärkerer Weckruf.

Vielleicht.

Ich werde jedenfalls achtsamer mit meinem Herzrasen umgehen, damit die Liebe nicht kaputt geht.

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