Immer wieder gerate ich in Situationen, die Gedanken und Erinnerungen an meinen Vater aufwühlen. Ich habe ihm ja auch schon hier auf meiner Blog-Plattform ein Denkmal gesetzt. Und ganz besonders berührend hat damals mein Freund Max Platzer einen Kommentar geschrieben. Wenige Monate später musste ich auch ihm ein Denkmal bauen ...
Heute haben mich Assoziationen beschäftigt, die sich anfühlen, als wäre Vati in eine Art Wiederholungszwang geraten. Eine schicksalshaft anmutende Zwangsläufigkeit.
Ich habe in meiner eigenen Psycho-Analyse gelernt, dass es gut ist, sich von solchen entwicklungsgeschichtlich manischen Weichenstellungen zu lösen. Und doch konnte Vati offensichtlich nicht umhin, jenen Mechanismus an mir zu kopieren, in dem er selbst sich behaupten musste.
Der Sonnberger-Opi hatte eine sehr moderne Bäckerei und es sieht im Rückblick so aus, dass es meinem Vater gelungen ist, sich aus der vorausbestimmten Übernahme des Betriebs herauszuschälen. Als ich selbst 14 war, wollte er mich dann auf Mord und Brand nötigen, mich auf die Übernahme des Installateur-Betriebs meiner Omi zu trimmen.
Und auch ich musste mich mit sehr viel Aufwand dagegen wehren.
Es ist schon seltsam, was ein pädagogisches Konzept, das seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat, mitten im 20. Jahrhundert an Wirkmächtigkeit entfalten konnte.
Gleichzeitig bin ich meinen Eltern - und insbesondere Vati - unendlich dankbar für die konservativ-saubere Ethik, die sie mir vermittelt haben. Nie ein Wort des Revanchismus. Trotz des Verlustes des gesamten Familienbesitzes im Sudetenland.
Nie ein Ressentiment gegen die früheren Kriegsgegner. Nie auch nur eine Andeutung von Rassismus oder Antisemitismus. Nie.
Was für eine Gnade für mich.
Immer wieder tauchen auch heute noch in meiner Erinnerung Muster auf, die so typisch für ihn waren.
Die Schüchternheit, die er hinter strengen Benimm-Regeln versteckte. Die Unmöglichkeit, Emotionen zu zeigen, bis ihn eine Serie von Schlaganfällen auf seine Gefühle fokussierte.
Die Intellektualität, die sich durch messerscharfe Analyse und präziseste Formulierkunst Bahn gebrochen hatte, bis ihn der Alkohol roh und grobschlächtig gemacht hat.
Das Bedürfnis nach Nähe zu mir, das er in einem samstäglichen Telefon-Ritual mit dem Studenten in Wien artikulieren wollte (der Anruf, jeden Samstag um 13.30) und die Sprachlosigkeit, die nur mühsam überwunden werden konnte.
Die ultimativ seltenen "Männergespräche", die doch immer nur bei einem Thema möglich waren: Wie seine Ehefrau und meine Mutter ertragen oder behandelt werden sollte.
Die unbeholfenen Signale der Fürsorge. "Jetzt, wo Du Deine Diss fertig hast, gehört die auf einer IBM Kugelkopfmaschine getippt. Ich zahl Dir das." (Die IBM war damals der ultimative State of the Art.)
Die wahrscheinlich letzte Rasur, die ich dem Todgeweihten "verpasste" - so wie er seinem Vater, kurz, bevor der starb.
Heute denke ich, wenn ich an meinen Vati denke, immer in tiefster Dankbarkeit auch an meine Kinder, die dem um eine Blaupause ringenden Papa so viele liebevolle Leitplanken zur Verfügung gestellt hatten.
Und zugleich tauchen längst verschollene Bilder und blasse Markierungen auf, die mein Vati doch zu setzen imstande war. Das ist deutlich mehr, als das Notwehr-Konzept das mich jahrzehntelang begleitet hatte: Hauptsache, das Gegenteil seines Beispiels zu tun und es würde dann zumindest nicht falsch sein.
Und wenn ich heute manchmal meinen Kopf an die Schultern meiner Kinder lehne, weiß ich und spüre ich und genieße ich, wie es sich anfühlt, nicht immer der "Starke" sein zu müssen. Das ist wertvoller, als der ultimative Jackpot in der Welt-Lotterie.
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