Schier unausrottbar: Die Ansicht, eine österreichische Regierung würde gewählt werden. Keine einzige österreichische Regierung ist als Regierung jemals gewählt worden.
Wir wählen Abgeordnete, die einer Partei zugeordnet werden. Daher kommt ja auch das theoretische (!) Prinzip des "freien Mandats" und des Abgeordneten (m/w), der/die nur seinen Wählerinnen, sich selbst und seinem Gewissen verantwortlich ist.
Ja. Eh. Wir wissen, wie die wirkliche Wirklichkeit funktioniert.
Trotzdem: Wer es sich einbildet, unbedingt eine Regierung wählen zu wollen, kann es ja gerne versuchen, wird halt auf dem Stimmzettel dafür kein Plätzchen zum Kreuzerl-Machen finden.
Der Bundespräsident beauftragt nach der Wahl den Vertreter jener Partei mit der Regierungsbildung, von dem er sich erwartet, dass er/sie eine stabile und belastbare Mehrheit im Parlament zustandebringt.
Insofern wird ganz besonders der/die BundeskanzlerIn nicht gewählt, sondern bestellt. Das trifft auch auf die derzeit amtierende Kanzlerin zu.
Das Parlament entscheidet dann mit jeder einzelnen Abstimmung, ob es der Regierung weiterhin vertraut - bis inkl. Misstrauensvotum.
Das Parlament besteht aus direkt vom Volk gewählten Abgeordneten. Das ist so in einer repräsentativen Demokratie. Insofern ist es ziemlich keck, einen Unterschied zwischen "Volk" und "Parlament" zu konstruieren.
In großer Anmaßung - im Zweifel eh nur für mich - schreib ich jetzt ein paar Kriterien auf, die ich mir vom nächsten Kanzler (m/w) wünsche.
1. Lebenserfahrung. Wer schon die eine oder andere Krise im persönlichen Umfeld bewältigen musste, ist einfach "schuss-sicherer", wenn's einmal eng wird. Dazu gehört auch eine gewisse reale Demut, einzusehen, dass man nicht der Nabel der Welt ist und andere auch recht haben könnten.
2. Dialogbereitschaft. Nicht 51% haben automatisch recht, sondern das Gemeinwohl ist das ultimative Kriterium. Und die Weisheit, anzuerkennen, dass es am Ende der Legislaturperiode niemandem schlechter gehen darf, als am Beginn.
3. Allgemeinbildung. Ohne einen Bodensatz an humanistischer Bildung sollte niemand an das große Steuerrad der Republik dürfen. Dazu gehören Geschichte, Philosophie, Sprachen und natürlich unbedingt auch Wirtschaft. "Von Wirtschaft versteh ich nichts" dürfte heute nicht einmal Kreisky selig sagen können.
4. Menschlichkeit. Alte, Kranke, Arme, Schwache und Flüchtende dürfen nicht mit einem Almosen abgespeist werden,
sondern brauchen gesicherten Schutz und bedingungslose Solidarität.
5. Unbedingte und bedingungslose Gesetzestreue. Wer an der Verfassung herumdoktert und/oder diese nicht anerkennt, darf die Schwelle des Ballhausplatzes nicht überschreiten.
6. In Österreich unabdingbar: Profunde Kenntnis des Faschismus, bedingungslose Ablehnung aller "Wiedergänger" und Förderung aller Bildungsmaßnahmen, die diese Ablehnung verbreitern und vertiefen.
Schlussbemerkung: Alle Anmerkungen addiert, würde ich problemlos ein Weiteramtieren der derzeitigen Bundesregierung bis 2022 befürworten.
Die Zeit bis dahin sollte reichen, alle Aspiranten auf das Kanzleramt auf ihre Eignung hinsichtlich der skizzierten Kriterien zu überprüfen.