Null. Und eins.

Die Digitalisierung ist in vollem Galopp unterwegs. Schon ziemlich lange. Sie aufhalten oder ignorieren zu wollen, ist genau so, als wollte man die Erfindung des Buchdrucks rückgängig machen. Es geht also auf gar keinen Fall um Digitalisierungs-Bashing. 


Es geht darum, wie wir mit dieser technologischen Naturgewalt umgehen.

Und an diesem Umgang erkennen wir - wieder einmal - das Menschenbild der Akteure.

Im türkisen Weltbild - ich kriege in diesem Zusammenhang das Wort Menschenbild nicht auf die Reihe - blinkt beim Gedanken an die Digitalisierung reflexartig eine Reaktion: Gewinnmaximierung. Und rechnerisch betrachtet ist dieses Kalkül auch korrekt.

So lange, bis man ein paar andere Parameter einbezieht. Diese Kriterien sind schon (sehr) lange bekannt, man muss sie nur anschauen und schon ändert sich was im Kopf.

Anfang der 80er Jahre tauchte erstmals ein Begriff auf: Die 2/3-Gesellschaft. Dieser Begriff beschrieb eine Entwicklung, in der die Gesellschaft dauerhaft in 3 Teile zerlegt wird.

2 Teile sind oberhalb der Armutsgrenze, 1 Teil darunter. An dieser Relation ändert sich nichts, bis auf den Umstand, dass es durchaus zwischen oben und unten eine ständige Osmose gibt. Es dauerte bis in die Neunziger, bis der erste österreichische Politiker diesen Begriff in den Mund nahm und es war ein Sozialdemokrat. Der junge Ex- Kanzler ist wieder einmal außen vor - er war zur Zeit der Einführung des Begriffs noch nicht geboren.


Dann gibt es mehr als ausreichend Studien - sehr berühmt die sogenannte "Oxford-Studie", in der prognostiziert wird, dass durch die Digitalisierung in den nächsten 10 Jahren bis zu 47% der derzeit existierenden Jobs verschwinden werden. Die Effekte reichen bis in scheinbar geschützte Bereiche. Algorithmen werden im Anwaltsleben das langwierige Suchen nach Präzedenzfällen unnötig machen. Der Fokus auf Strategie und Taktik wird zunehmen und so ein viel schärferes Erfolgskriterium einführen. 

In der Medizin wird die bildgebende Diagnostik zunehmend von Algorithmen erledigt, die ganz kleine Details besser erkennen, als das menschliche Auge. Die Ärzte werden viel mehr als bisher auf die konkrete menschliche Betreuung der Patienten fokussiert - ebenfalls ein sehr scharfes Erfolgs-Kriterium.

Aber auch in den einfachen manuellen Bereichen wird sich viel ändern. Lagerarbeit, Transportwesen u.ä. werden computergesteuert erledigt und erübrigen die bisher dort tätigen Menschen. 

Die Frage muss daher gestellt werden, wie und ob es gelingen kann, all jene Menschen, die bisher nicht von Dienstleistung und Kreativität gelebt haben, in wettbewerbsfähige Berufe umzuschulen. Der Verdacht lautet: Bei zu vielen wird das nicht gelingen.

Aus all diesen Menschen entsteht dann ein neues Proletariat. Moderne Analphabeten, die mit Null und Eins nicht umgehen können.

Dieses neue Proletariat ist wie geschaffen für die Manipulationsgelüste der Populisten und ihrer gewinnmaximierenden Strippenzieher.

Es wird ein ausreichend großes Reservoir geben, denn die Vermutung darf ausgesprochen werden, dass die oben genannte 2/3-Gesellschaft auf den Kopf gestellt wird: Ein Drittel oben, zwei Drittel unten.

Nun gibt es bereits türkise Erklärungsversuche, die auf besonders perfide Art die bisherigen Argumente weiter strapazieren. Man müsse bei der Migration die Flucht in das heimische Sozialnetz noch mehr bekämpfen und statt dessen nur noch hoch qualifizierte Ausländer ins Land lassen. Abgesehen von der miesen Argumentation stellen sich dann zumindest zwei Fragen:

Was macht man, wenn hoch qualifizierte indische Digital-Experten ins Land wollen, die in ihrem Fach bei weitem besser qualifiziert sind, als der junge Herr Ex-Kanzler? (Und - fairerweise - auch als der Großteil des gesamten derzeitigen politischen Personals). 

Und: Wie erklärt man die Zunahme der Zahl dieser Migranten der unkontrolliert gewachsenen Zahl der rassistischen Verwandten all jener, die jetzt nach Qualifikation rufen?

Das ist aus meiner Sicht der Kern des Themas Digitalisierung. Sie ist ein Faktum. Sie existiert und muss sein. Die Frage lautet: wie gehen wir gesellschaftlich damit um?

Wer den deutschen Philosophen Precht "Im Zentrum" gesehen hat und verfolgen konnte, wie er die gesellschaftlichen Konsequenzen der Digitalisierung beschrieb, hat sicher auch noch die Schafsgesichter der anwesenden österreichischen Politiker vor Augen, die nur mit Mühe die Buchstaben seiner Ausführungen aneinanderreihten, ohne den Sinn zu verstehen.

Wenn wir kein dystopisches Szenario wollen, das die schlechtesten Horror-B-Movies in den Schatten stellt, dann müssen wir auch ernsthaft über ein arbeitsloses Grundeinkommen und seine Finanzierung reden, damit all jene, die nicht mehr Schritt halten können, nicht unter die Räder kommen.

Das ist einem Gehirn, das nur in Richtung Rationalisierung, Gewinnmaximierung und gesellschaftliche Polarisierung denkt, nicht vermittelbar.

Und alle anderen stehen da mit vor Angst vollen Hosen und kriegen den Mund nicht auf.

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