Am 6. April 1967 hielt Theodor W. Adorno in Wien einen Vortrag zum Thema "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus". Seine Ausführungen vor 52(!) Jahren sind auf beklemmende Art heutig.
"... daß trotz Vollbeschäftigung und trotz all dieser Prosperitätssymptome das Gespenst der technologischen Arbeitslosigkeit nach wie vor umgeht in einem solchen Maß, daß im Zeitalter der Automatisierung ... auch die Menschen, die im Produktionsprozeß drinstehen, sich bereits als potentiell überflüssig – ich habe das sehr extrem ausgedrückt –, sich als potentielle Arbeitslose fühlen.
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Es ist nun an die eigentümliche Situation zu erinnern, die herrscht mit Rücksicht auf das Problem des Nationalismus im Zeitalter der großen Machtblöcke. Innerhalb dieser Blöcke lebt nämlich der Nationalismus doch fort als Organ der kollektiven Interessenvertretung innerhalb der in Rede stehenden Großgruppen.
Es ist gar kein Zweifel daran, daß sozialpsychologisch und auch real es eine sehr verbreitete Angst davor gibt, in diesen Blöcken aufzugehen und dabei auch in der materiellen Existenz schwer beeinträchtigt zu werden.
Also, die Angst vor der EWG ... (ist) hier sicher außerordentlich stark.
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Die einzelne Nation ist in ihrer Bewegungsfreiheit durch die Integration in die großen Machtblöcke außerordentlich beschränkt. Man sollte nun daraus aber nicht etwa die primitive Folgerung ziehen, daß deswegen der Nationalismus, wegen dieser Überholtheit, keine entscheidende Rolle mehr spielt, sondern im Gegenteil, es ist ja sehr oft so, daß Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substantiell sind,
ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen.
Die Hexenprozesse haben schließlich nicht stattgefunden in der Zeit des Hochthomismus, sondern in der Zeit der Gegenreformation, und etwas Ähnliches dürfte es mit dem, wenn ich es so nennen darf, »pathischen« Nationalismus heute auch auf sich haben.
Dieses Moment des Angedrehten, sich selbst nicht ganz Glaubenden, hat er übrigens schon in der Hitlerzeit gehabt. Und dieses Schwanken, diese Ambivalenz, zwischen dem überdrehten Nationalismus und dem Zweifel daran, der dann wieder es notwendig macht, ihn zu überspielen, damit man ihn sich selbst und anderen gleichsam einredet, das war damals auch schon zu beobachten.
Ich glaube, es erklärt sich nämlich aus dem, ... daß die Anhänger des Alt- und Neufaschismus heute quer durch die Gesamtbevölkerung verteilt sind."
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