Wahlkampf ist und die Erwartungen (f)liegen hoch.
Vielleicht hilft es ein bisschen, das, was viele unter Politik verstehen, mit der Lebens- und Berufserfahrung zu kreuzen.
Meine Berufserfahrung als Coach sagt mir, dass Führungsteams dann umso besser funktionieren, je größer die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten ist. Und die Unterschiede wirken dann wie inspirierende Gewürze. (Diese Erkenntnis durfte ich nach vielen Irrungen und Wirrungen auch in meinem Privatleben gewinnen.)
In der abgewählten Regierung war diese Schnittmenge durchaus ziemlich groß. In den davor amtierenden rot/schwarzen Koalitionen gar nicht.
Nächste Erkenntnis: Ein Team braucht - um sich von einer Gruppe zu unterscheiden - ein gemeinsames Ziel, das es erreichen will. Auch dieses Kriterium hat die abgewählte Regierung ziemlich lange ziemlich klar erfüllt. Dass das Ziel eben nicht die versprochene Modernisierung des Landes, sondern eine knallharte Wende zurück war, ändert nichts an der Einheitlichkeit des Ziels. In den davor amtierenden rot/schwarzen Koalitionen gab es viele Jahre lang nur ein einziges Ziel: Den (potenziellen) Erfolg des Koalitions-Partners möglichst stringent zu verhindern.
Wenn jetzt - chronisch, notorisch, wissensbefreit - Stimmen hochfahren, die der aktuellen Opposition vorwerfen, in Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung nix weitergebracht zu haben, so grenzt das schon ganz gewaltig an politischen Gedächtnisverlust. Keine der beiden früheren Regierungsparteien konnte das erreichen, was sie jeweils wollten, weil sie eben nur vom Ziel getrieben waren, Geländegewinne des "anderen" zu verhindern.
Und weil der Kompromiss als gestalterische Tugend ausgedient hatte. Wenn man Themen, die nichts miteinander zu tun haben, gegeneinander abtauscht (tausche Milchpreis gegen Außenminister), darf man sich nicht wundern, dass dabei die hohe Schule des Interessensausgleichs den Bach runter geht.
So haben sich dann halt viele gewünscht, das Streiten und das Packeln möge endlich aufhören. Um den dann sehr teuren Preis des "Drüberfahrens", des Dialog-Endes mit der Minderheit, der Abwertung demokratischer Institutionen und der Unterminierung des Rechtsstaats.
Nebenbemerkung: Dass wir jetzt erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik eine Regierung haben, die das Gesetz der Gewaltenteilung prototypisch vorlebt, wird leider gar nicht ausreichend gewürdigt. Das Parlament als Legislative (der ominöse "Gesetzgeber"), die Regierung als Exekutive (als die Verfassung achtende "Umsetzerin" der Beschlüsse des Gesetzgebers) und die Judikative (die unabhängige und freie Gerichtsbarkeit): All das hatten wir nie und werden wir in dieser reinen Form wohl auch sehr lange nicht mehr haben.
Und so leben wir. Eingebunkert in faktenbefreiten und den Gefährdungen der Demokratie gegenüber ahnungslosen Blasen, schrauben Erwartungen in Gefilde, wo sie keine Wurzeln schlagen können und regen uns auf, wenn sie nicht eingelöst werden, weil die Realisierung die Gesetze der Physik aufheben müsste.
Wer auf diese Weise das Feld aufbereitet für Halbwahrheiten, Durchstechereien und Betrug hat wohl nichts Besseres verdient.
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