Seit fast 15 Jahren arbeite ich als Coach in direktester Verbindung mit den Menschen.
Im Laufe der Jahre sind es ca. 4000 individuelle Persönlichkeiten geworden, die ich einzeln oder in Gruppen begleiten durfte.
Ich habe immer wieder sehr tief in einzelne Lebensgeschichten geschaut und dabei selbstverständlich mit großer Sorgfalt darauf achten müssen, die Grenze zwischen Coaching und Therapie einzuhalten.
Dabei ist ein Grundgesetz unverhandelbar:
Die Wertschätzung für die Klienten und deren Themen. Also der wohlwollende "Anfangsverdacht", dass die Person, die mir gegenübersitzt, ihr Leben mit guten Absichten führt und deswegen meine Beratung sucht, weil diese guten Absichten nicht ausreichend zu ebensolchen Ergebnissen führen.
Manchmal glauben diese Menschen, dass sie mit guten Absichten agieren, merken aber nicht, wie viel Schaden sie dabei verursachen könnten. Um das erkennbar zu machen, gibt es gute Methoden, um dem Klienten/der Klientin behilflich zu sein, die Auswirkungen des eigenen Tuns auf andere (zunächst einmal virtuell) wahrnehmen zu können.
Vor ein paar Jahren hatte ich den CEO eines erfolgreichen Unternehmens als Kunden.
Er war sehr stolz, dass er 24/7 seine Gedanken und Ideen seinem Unternehmen zur Verfügung stellte. Sein Smartphone lag immer am Nachtkästchen, damit er auch nächtens seine Ideen und Wünsche mit seinen Mitarbeitern "teilen" konnte.
Manchmal schickte er dann um 3.30 ein entsprechendes Mail an seine Direct Reports.
Ich fragte ihn, ob er erwarten würde, dass seine Leute diese Mails auch noch in der Nacht lesen würden. Antwort: "Natürlich nicht!" Nächste Frage: "Bis wann erwarten Sie dann Antworten auf Ihre Impulse?" Antwort: "Na, wenn ich um 9.00 ins Büro komme, dann sollten die Antworten schon auf meinem Tisch liegen." Ich habe daraufhin versucht, ihm zu spiegeln, wie widersprüchlich sein Verhalten ist. Als alles nichts fruchtete, habe ich meinen Beratungsauftrag zurückgegeben.
Wenn man so nahe am Menschen ist,
lernt man nicht aus. Man entwickelt einen subtilen Sensor, der dann tief drinnen blinkt, wenn man das Gefühl nicht los wird, der Gesprächspartner würde nicht ehrlich sein.
Zu sich selbst und zu anderen.
Wenn die Bereitschaft zur Selbsterkenntnis von dem Wunsch überlagert wird, die eigene Persönlichkeit in einem Trugbild einzuwickeln. Oder andere von diesem Trugbild zu überzeugen. Dabei werden oft "faszinierende" Methoden und Techniken eingesetzt, um den gewünschten "Spin" glaubwürdig zu drehen.
Ich habe dann in meiner Arbeit immer wieder große Schwierigkeiten, mit solchen Menschen umzugehen. Vor allem dann,
wenn die Person auch in der geschützten Zweisamkeit der Gesprächssituation keine Anstalten unternehmen möchte, die eigene Position auch aus den Perspektiven der Betroffenen zu betrachten.
Die elementarste Erfahrung ist und bleibt:
Was ist das für ein Mensch, der da bei mir sitzt? Ist dieser Mensch daran interessiert,
bei sich selbst zu beginnen, wenn er sich Veränderung wünscht? Oder versucht die Person, andere zu beeinflussen, damit das eigene Ziel erreicht werden kann?
Im ersten Fall können beglückende Prozesse und Entwicklungen beginnen.
Im zweiten Fall - zum Glück recht selten - möchte ich keine Beihilfe leisten.
Vor uns liegen genau solche Entscheidungen. In einer Woche dürfen wir sie treffen.
Das Menschenbild derer, die wir wählen sollen, sollte das wichtigste Kriterium sein.
Egal, wen wir bevorzugen - es bleibt die alles entscheidende Frage:
Wie gehen diejenigen, die Verantwortung übernehmen wollen, mit den Menschen um?
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Hermann Schindler (Samstag, 21 September 2019 13:00)
Danke für diese klaren und richtigen Worte!