Furchtsam.

Vor einem Jahr hat mir meine über alles geliebte Frau gemeinsam mit ihrem Sohn Max ein ganz besonders liebevolles Geschenk zu meinem 60er bereitet: 

Einen halbstündigen Film, in dem meine engsten Freunde an Originalschauplätzen über mein Leben berichteten. Besonders hervorgetan hat sich mein bester Schulfreund, der einen ganzen Tag mit Gabi und Max durch Linz gezogen ist.

In einer der Reminiszenzen kommt ein weiterer Freund zu Wort, der über meine Kinderjahre in der Ferihumerstraße ein ganz spezielles Adjektiv verwendete: Er meinte ich wäre damals etwas "furchtsam" gewesen. 

Diese Bezeichnung hat mich lange beschäftigt. Bis ich heute eine Ahnung entwickelte, was damit gemeint gewesen sein könnte.

Wir wohnten damals in einem vierstöckigen Haus direkt an der Nordseite der Donau, wo auf einem Hochwasserdamm eine Siedlung gebaut worden war. Das Stiegenhaus war nach heutigen Maßstäben geradezu fahrlässig gebaut. Man konnte nämlich vom Keller bis ins oberste Stockwerk an der Außenseite des Treppen-Geländers nach oben gehen. 

Mir war die Gefährlichkeit nur oberflächlich bewusst und so hatte ich mich als Fünfjähriger auf den Weg gemacht. Ich an der Außenseite des Geländers, den immer tiefer werdenden "Abgrund" unter bzw. hinter mir. Und zwei meiner Freunde, an der sicheren Innenseite auf den breiten Treppen. 

Stockwerk für Stockwerk ging es nach oben. 

Als wir schließlich im vierten Stock angekommen waren, läutete mein Freund Peter an seiner Wohnungstür, um seiner Mama zu zeigen, was der Hannes grade geschafft hatte. Die gute Frau hob mich schreckensbleich über das Geländer und brachte mich in den ersten Stock, wo mich meine Mutter unter Dankbarkeitskundgebungen in Empfang nahm. Kaum war ich hinter unserer Wohnungstür verschwunden, hat sich meine Mutter mich vorgeknöpft und mir den nackten Hintern versohlt. 

So lernte ich, was Angst ist.

Es hat mich ein halbes Leben gekostet, die selbsterfüllende Angst, die mich seither mit großer Konsequenz begleitete, zu überwinden. 

Und zu erkennen, dass Angst von Enge kommt und diese Verengung des Bewusstseins zu einer Verengung des Denkens und Empfindens und schließlich auch zu einem verengten Agieren führt. 

Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut und auch nicht Sicherheit - obwohl diese als Gelassenheit im Umgang mit schwierigen Situationen schon recht hilfreich ist.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass das Gegenteil von Angst im Sinn besteht. 

Wer verstanden hat, wofür etwas gut ist, 

wird auch die Ausdauer für das Ertragen schwieriger Umstände aufbringen. 

Wer das Spielen mit den Verhältnissen scheut, wird sich ein Leben lang fürchten.

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