Fehlt.

Das kennt man gut. Aus der Schule oder auch vom Militär. Jemand überprüft den Stand der Anwesenden. Wer hier ist, ruft "hier!"

Bei den Abwesenden rufen die Anwesenden "fehlt!"

Beim heutigen Seelenappell ist die Liste der Abwesenden schon wieder länger geworden, als vor einem Jahr. Mit jedem eigenen Lebensjahr wird es leerer um einen selbst.


Mein Opi. Fehlt!

Von ihm habe ich ganz bestimmt die Leidenschaft für das Politische und - trotz Pferdeallergie - für das Reiten toter Gäule.

Wie gerne würde ich heute mit ihm polemisieren und ihm 1000 Fragen stellen.


Meine Omis. Fehlen! 

Die eine - früh Verstorbene - hat mir mit einer Engelsgeduld Geschichten vorgelesen und mich mit so viel bedingungsloser Liebe verwöhnt.

Die andere - Unverwüstliche - hat mein Frauenbild vor meiner Mutter gerettet und mir die Freude am Genuss vermittelt.


Onkel Karli. (Mein Firmpate). Fehlt!

Er war wirklich immer für mich da - genau, wie er es mir bei der Firmung versprochen hatte. Wo hätte ich in meiner Jugend besser mein Herz ausschütten können und so viel heiteren Trost erhalten.


Kurt Baresch. Fehlt!

Er war als junger Mann ein Nazi. Er war bei der Waffen-SS. Im Krieg hat er ein Bein verloren. Und kam beschämt und geläutert zurück. Er wurde eine Lichtgestalt für die Werte der Aufklärung und der Menschenliebe.

Er war Deputierter Großmeister der Großloge von Österreich. Und ich höre das Hämmern, wenn er im Abglanz des ewigen Lichts an seinem Baustück arbeitet.


Karl Krumpöck. Fehlt!

Er war mein Bruder und ist mein Freund geworden. Mit ihm zu lachen war genauso wunderbar, wie mit ihm zu sinnieren.


Paul Blaha. Fehlt!

Kaum jemand konnte intellektuelle Schärfe mit blitzartig auftauchender Menschenliebe so kombinieren. Von ihm habe ich den Unterschied zwischen "Hoffnung" und "Zuversicht" gelernt. Was für ein Unterschied!


Ivan Eröd. Fehlt!

Der wunderbare Zusammensetzer von Tönen. So gebildet. So herzlich. So dem Menschen zugewandt.


Werner Gradner. Fehlt!

Er hat meine Seele gerettet. Mit höchster Professionalität und sensibelstem Feingefühl, das er mit punktgenauer Strenge ausbalancierte.


Meine Schwiegermutter (Mama). Fehlt!

Sie hat mich in ihr mütterliches Herz geschlossen. Eineinhalb Jahre durfte ich noch mit ihr verbringen und mich als Sohn fühlen. Zum ersten Mal in meinem Leben. 


Mein Schwiegervater (Papa). Fehlt!

Der Bezwinger der Herz-/Hirnschranke. 

Noch immer kann ich seine feste Umarmung spüren und die Lust an der Auseinandersetzung und den Genuss des väterlichen Impulses.


Ernst Zekely. Fehlt!

Er ist mir so auf die Nerven gegangen - mein Vorgänger in der Lintas. Und Jahre - viele Jahre! - später erst konnte ich ermessen, was Ausdauer und Disziplin und ein herrlicher Sarkasmus auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten wert sind. Und wir haben noch ein paar sehr schöne Augenblicke miteinander erlebt.


Christian Strasser. Fehlt!

Der geniale Wort- und Gedankenakrobat. 

Und der ungeschickteste Vermarkter seines überbordenden Talents.


Max Platzer. Fehlt!

Er war das Wiener Kaffeehaus. Und der Kaffeesiederball. Er war das Herz und die Seele und der Muskel einer Tradition, die ohne ihn nie wieder so sein wird, wie mit ihm.


Laith Hamid. Fehlt!

Was für ein wunderbarer Arzt. Was für ein großartiges Herz. Voller Liebe zu den Menschen und seinen Liebsten. Voller Einsatzfreude und freundschaftlicher Loyalität. 


Gregor Stögner. Fehlt!

Der Inbegriff des unermüdlichen Kämpfers für Bildung und Aufstieg. Als Forstarbeiter rastlos lernend, als Gewerkschafter ständig bemüht, als Politiker den sozialdemokratischen Tugenden verpflichtet, als Vater sich selbst ausbeutend.


Wulf Strauhs. Fehlt!

Eines der größten echten Talente in der an Schaumschlägern so üppig durchsetzten Welt der Werbung. So früh gestorben.


Paul Ferstel. Fehlt!

Was für eine Eleganz in Stil und Ausdruck.

Gnadenlose Kompetenz, unbarmherzig der Qualität verpflichtet. Nicht mehr da.


Renate Skoff. Fehlt!

Sie war meine allererste Lehrerin in der Kunst der Kommunikation. Das Quäntchen Ungeduld, das sie in ihre Impulse legte, zeigte nur, wie unfassbar kompetent sie war. Sie war ein wunderbarer Mensch, der Toleranz verpflichtet und dem unbeugsamen Esprit, mit dem sie alle, die ihr nahestanden, verzaubert hat.


So ist es. Die Liste wird länger. 

Jahr für Jahr.

Die Erinnerung bleibt stark und mächtig.

Jahr für Jahr.


Sie alle fehlen. Und sind bei uns. Alle Tage.

  

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