Liebe Ypsilons! Und auch liebe Zets!
Ich bin´s. Der Boomer.
Nachdem grade einer von Euch ein Buch geschrieben hat und Leuten wie mir empfohlen hat, wir mögen uns bitte schleichen und Euch den Weg frei machen,
dachte ich mir, ein bisschen Kommunikation aus der anderen Richtung könnte nicht schaden.
Vor 24 Jahren habe ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden in einer Führungsposition abgelöst, der nicht und nicht abhauen wollte.
Mein „Vorgänger“ war damals um zwei Jahre jünger, als ich es heute bin.
Und ich habe vieles unternommen, damit er endlich geht.
Und vor 19 Jahren war es noch einmal so. Und meine damalige Vorgängerin war sogar um vier Jahre jünger, als ich es heute bin. Und ich musste mich ganz besonders bemühen, damit sie den Weg freimacht.
Ich glaube also zu wissen, wie es Euch geht. Nun fühlt es sich aber von der anderen Seite der Geschichte nicht so rasend toll an.
Und doch: Mit der durchaus gewachsenen Erkenntnisbasis (Weisheit wollen wir das vorsichtshalber nicht nennen) schaudert es mich ein bisschen, mit welcher Kompromisslosigkeit Ihr Euch unser (und damit auch mein) Verschwinden wünscht.
Ja, meine Generation hat den Burn-Out erfunden. Und Euch gezeigt, wie jämmerlich sich eine ganze Altersgruppe um die eigene Gesundheit bringen kann. Und wie armselig wir unsere Chancen vergeigt haben, Zeit mit Euch zu verbringen.
Stattdessen haben wir sehr viel Geld in die Hand genommen, Euch gute Ausbildungen zu finanzieren und damit versucht, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Leute wie ich haben Euch gesagt: Kinder, Ihr könnt alles werden, was Ihr wollt.
Ihr müsst es nur wollen, dann wird die Welt sich für Euch öffnen.
Und wir haben Euch zu unserer historischen Schande vorgeführt, wie vollkommen unvollkommen wir mit Konflikten umgehen, wie traurig unsere sogenannten Kompromisse aussehen und wie wenig dabei weitergeht.
Jetzt wundern sich Leute wie ich, dass Ihr bei so vielen Themen kein Konflikt-Management beherrscht und uns so schnell wie möglich loswerden wollt.
Mit Ausnahme der Klima-Debatte, wo ich kompromisslos auf Eurer Seite stehe, erlebe ich Euch nur wenig kämpferisch und wenn, dann ziemlich unbeholfen.
Vielleicht liegt das auch daran, dass meine Generation zwar schon nicht mehr aus der 68er Bewegung gespeist wurde (höchstens von deren Echo), aber doch manchmal sehnsüchtig auf all die antiautoritären Mechanismen geschielt hat, mit denen sich die Leute in Woodstock in den Gatsch geschmissen haben. Und dann haben wir vergessen, Euch das wichtigste Wort des ganzen Lebens vorzuleben.
Das ist leider nicht das „Ja“, sondern ein beherztes „Nein“.
Ein „Nein“, das Grenzen setzt. Dort, wo sie hingehören. Nicht jene Grenzen, die Euer Alterskollege am Ballhausplatz so liebt. Sondern die Einsicht, dass man für ein konstruktives Miteinander auch den Freiraum der anderen Menschen mitbeachten muss.
Da ist dann etwas entstanden, was ich traurig, zornig, aber auch mit großer Liebe beobachte und das mir enorme Schwierigkeiten bereitet, wenn ich dann doch den Alltag mit Euch teile:
Euer gnadenloser Egoismus.
Oder, jetzt ist es eh schon wuascht, wenn ich noch ein Schäuferl drauflege:
Die Entsolidarisierung, die von Euch recht unbekümmert zumindest geduldet,
meist aber sogar angetrieben wird.
Ja, beim Klima ist es anders. Aber bei ganz vielen anderen gesellschaftlich relevanten Themen spießt es sich dann ganz gewaltig.
Viele von Euch haben sich eine erstaunlich konservativ-liberale Weltsicht zugelegt.
Ich kritisiere das nicht. Ich sehe nur, was ein Modell aus Euch gemacht hat, das Eure Generation durch unbezahlte Praktika ausbeutet. Jeder für sich, Gott für alle – so lautet das Motto und ich bedaure Euch sehr, dass Ihr so in die Vereinzelung getrieben worden seid oder Euch auch habt treiben lassen.
Ich bedaure auch, wie sehr die Konfliktscheu Euch in eine Sprache manövriert hat,
die vor lauter „Correctness“ nicht mehr zur Essenz vordringt und wie oft ich es in meinem Beruf erlebe, dass sich die „Jungen“ untereinander viel zu wenig trauen,
einmal Klartext zu reden.
Ganz direkt, weil – wie gesagt – eh schon wuascht: Auch die sogenannten „agilen Modelle“ können sich für Euch zu einer ganz heimtückischen Falle entwickeln.
Wenn der konjunkturelle Wind ein bisschen schärfer bläst – und leider scheint sich da etwas zusammenzubrauen, das von Leuten meiner Generation schon wieder verkackt wird – dann werden jene, die gerne unbekümmert von der Dienstleistung in die Arroganz der Zwangsbeglückung der Auftraggeber gekippt sind, ein recht ungemütliches Erwachen erleben. Dann könnte es wieder die verhassten „Pflichtenhefte“ geben und recht humorlose Deliverables und die selbst gesteckten Ergebnisse einzelner Sprints werden in ihren Spielräumen ziemlich eng werden.
Ja, ich bin ein (Baby)Boomer.
Geboren 1958, mitten in eine Zeit, in der man alles für machbar und erreichbar hielt.
Was selbstverständlich ein Blödsinn war.
Aber eine vollautomatische Waschmaschine, der Farbfernseher und die Genossenschaftswohnung waren halt zu dieser Zeit die erstrebenswerten Ziele unserer Eltern.
Und ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, da habe ich einmal, als ich mit 17 von einer langen Nacht nach Hause gekommen bin, auf so einen wirtschaftswunderlichen Kalenderspruch, der im Esszimmer meiner Eltern hing, mit rotem Filzstift „Scheiß-Leistungsprinzip!“ geschrieben.
Und 10 Jahre später habe ich die Nachtschichten in den Werbeagenturen geschoben.
Nicht, weil meine Chefs das so wollten. Sondern, weil ich die Arbeit so geil fand.
Deshalb tu ich mich auch so schwer mit dem Begriff der „work-life-balance“.
Weil für mich war und ist die Arbeit immer schon ein Teil meines Lebens.
Ja, oft genug hat die Arbeit einen zu großen Teil meines Lebens gefressen und mir die Zeit mit meinen Frauen, meinen Kindern oder auch meinen Freunden geraubt.
Das bedaure ich heute sehr.
Aber ich würde keine Sekunde jener vibrierenden Phasen missen wollen, die mir gegönnt waren, als geile Ideen entstanden, als wir uns überlegten, wie wir die den Kunden verkaufen und wie wir uns voller Stolz freuten, wenn die dann „on air“ gingen.
Vielleicht ist es das, was uns das gemeinsame Leben so schwer macht:
Dass wir nicht mehr wissen, wofür wir jeweils brennen. Und dass uns das – schrecklich! – auch gar nicht (mehr) interessiert!
Dabei wäre gerade diese Neugier aneinander etwas, das uns von allen Vorgänger-Generationen unterscheiden könnte. Wo ich mich von einem ganzen Haufen Vorurteilen befreien könnte, die mich sicherlich auch in diesen Text getrieben haben. Und Ihr Euch auch aus Euren einbetonierten Positionen lösen könntet, die Euch dazu bringen, uns zuzurufen „Geht aus dem Weg!“.
Wir sollten wirklich einen besseren Modus finden, denn dank der Segnungen der Medizin werden wir Euch noch eine ziemlich lange Zeit auf die Nerven gehen.
Und Euer größter Triumph – und dessen bin ich mir sehr bewusst – dass Ihr uns auf alle Fälle überleben werdet, wird eventuell länger auf sich warten lassen, als uns beiden lieb ist.
Denn – und auch das ist Euch nur ein schwacher Trost – mein persönlicher Ehrgeiz ist es sicher nicht, ein medizinisch aufgepeppter sabbernder Haufen Gemüse zu sein, der Euch auf der Tasche liegt.
Boomer zu sein hat seine Reize verloren.
Wir gehen aus den Machtpositionen raus – früher oder später, aber wir gehen. Wir haben keinen „track record“, auf den wir stolz sein können. Wir haben die Welt nicht vom Faschismus befreit, sondern seine Auferstehung verpennt.
Wir haben Sorgen wegen unseres PSA-Werts oder wegen der Knochendichte.
Und wir stehen Euch im Weg. Wie jene Bewusstlosen aus allen Generationen,
die auf den Rolltreppen in der linken Spur stehen und in ihre Smartphones stieren.
Aber wenn wir nicht aufhören, uns auf die Nerven zu gehen, werden wir alle sehr viel weniger Spaß haben, als uns jeweils zusteht.
Kommentar schreiben
Marion (Dienstag, 12 November 2019 19:19)
Hast du wieder mal genial analysiert und dokumentiert lieber Hannes. Ich liebe zwar den ganzen digitalen Kram, aber ich glaube diese Technik eliminiert mit der Zeit alles. Die Intuition, das Spüren wofür man brennt, das Kämpferherz, das Lieben, alles was einen Menschen ausmacht. Da ist es dann vielleicht eh schöner wenn wir uns verabschieden �
Paul (Samstag, 16 November 2019 01:32)
OK, Boomer!
Besser kann man's nicht sagen.