X (Mas) Rituale.

Das Fest der Liebe naht. 

Für die Kinder quälend langsam. 

Für manche Erwachsenen unerbittlich schnell. 

Wenn man so wie ich ein Wiederholungstäter im Patchworken ist, hat man schon ein paar einschlägige Erfahrungen im Fusionieren von Traditionen.
Wobei der Begriff "einschlägig" gerne auch im wortwörtlichen Sinn verstanden werden kann. Denn wie die Granaten schlagen Gewohnheiten und Rituale ein und verursachen Druckwellen der Veränderung und der Anpassungs-Notwenigkeiten.
Alleine die Abläufe der Rituale am 24.12. können über die Jahrzehnte außerordentlich stark variieren.

In der Familie, in die ich hineingeboren wurde, gab es meinem Vater zuliebe zu Weihnachten Karpfen. Vati wiederum wollte den Karpfen unbedingt wegen seiner Mama - meiner geliebten Omi. Außer den beiden hat der Karpfen eigentlich niemandem geschmeckt. Auch dem Opi nicht, der sich zu Weihnachten ausnahmsweise seiner Frau fügte.
Als Omi nicht mehr bei uns war, war auch das Ende des Weihnachtskarpfens gekommen und niemand trauerte um ihn. Um Omi aber umso mehr und ich hätte mich noch jahrelang mit dem fetten Fisch abgefunden, wenn Omi noch mit uns am Tisch gesessen wäre.
Statt Karpfen kam die Gans. 


Die Ära meiner Mutter hatte begonnen.
Ihre Weihnachtsgans war der Gold-Standard.
Dazu gab es Reiberknödel, die noch komplett manuell zubereitet wurden. Rohe Kartoffeln wurden durch eine Presse gedrückt und ich sehe noch Muttis Haarsträhne, die bei diesem Kraftakt nicht in der dauergewellten Frisur verharren wollte und ihr verwegen vor der Nase baumelte.
Als Kind hörte ich Reiberknödel und verstand Räuberknödel, was mich augenblicklich zum damals legendären Räuber Hotzenplotz beamte. Wenn der solche Knödel aß, wollte ich auch unbedingt welche essen. 


Dann - meine ersten Weihnachten als Student waren gekommen - hatte sich Mutti kurz vor dem Fest den Fuß gebrochen und war mit Liegegips aufgebahrt. Sie erklärte mir die Zubereitung der Gans und ich übernahm das Regime in der Küche für drei Tage.
Zwei Gänse, diverse Kalbsfilets, Töpfe voller Schmoräpfel "Tartare" wurden an den Feiertagen von mir fabriziert und ich lernte: Weihnachten im Setting einer von Männern im Stich gelassenen Hausfrau ist harte Arbeit.

In meiner ersten Ehe war das Weihnachtsessen fast immer ein großes Familiengelage, das meine damalige Schwiegermutter üppig bekochte. Beim Essen unterhielt uns ihr Mann - ein Taxiunternehmer - mit Schnurren aus seinem Alltag und tiefen philosophischen Erkenntnissen - geschürft aus vielen Stunden des Wartens auf einsamen Standplätzen.

In meiner zweiten Ehe hatte ich mir ein Refugium geschaffen, das mir erlaubte, nach vielen Tagen und Nächten der beruflichen Hochspannung den notwendigen Abstand zu schaffen. Ab 14.00 war ich in der Küche verbarrikadiert und zelebrierte "meine" Weihnachtsgans. Eine Flasche vom Roten war dekantiert, die Gans lag bereitwillig vor mir und wurde außen wie innen sorgfältig auf ihre heißesten vier Stunden vorbereitet.
Großzügig teilte ich mit ihr das rote Gesöff.
Und während sie so vor sich hin schmurgelte, telefonierte ich mich durch meine Freundesliste, um frohe Weihnachten zu wünschen.
In dieser Familiensituation gab es zuerst die Bescherung und dann das Essen. Manchmal mit der Verwandtschaft meiner Frau, oft auch "nur" zu viert, was ich durchaus sehr angenehm empfand. 


In den Zeiten der Trennung produzierte ich dann die Gans in meiner Wohnung und transportierte das gesamte Konvolut inklusive Rotkraut und Erdäpfelknödel in die Wohnung meiner Ex-Frau, wo sich auch unsere Kinder versammelt hatten. Dieser Vorgang animierte meinen wunderbaren Freund Herbert zur Erkenntnis, er wüsste nun genau, woher der Begriff "Gänsemarsch" wirklich käme.

Dann begann eine neue Zeitrechnung.
Mit meiner dritten Ehe entwickelte sich ein Patchwork-Geflecht, das man ohne weiteres auch als eine Challenge für einen Strukturkonservativen wie mich bezeichnen kann.
Wunderbar: 

Die Weihnachten mit Gabis Eltern.
Neu: Ein für mich "verkehrtes" Ritual.
Zuerst essen, dann singen, dann Bescherung.
Ab Einzug in unsere erste gemeinsame Wohnung: Herstellung von zwei parallelen Menues. 


Allein Gabi übertrifft sich jedes Jahr selbst mit einem schillernden Variantenreichtum, der auch auf von ihr speziell gestalteten Speisekarten seinen Niederschlag findet.


Ich widme mich weiterhin der Gans. Besser: Den Gänsen. Denn unter Gabis Nachkommenschaft haben sich mittlerweile Freunde meines toten Federviehs gefunden und so bin ich gut beraten/gebraten, für ausreichende Mengen zu sorgen, denn am 25.12. kommen meine Kids, um Papas Gans unter großzügiger Zufuhr von Brunello ihrem Endzweck zuzuführen.

Die absolute und endgültige Niederschmetterung meiner küchentechnischen Hybris erfolgt trotzdem an jedem 24.12. gegen 15 Uhr, wenn im Zuge der alljährlichen telefonischen Küchenkonferenz mein wunderbarer Freund - der große Paul - seinen Speiseplan durchgibt.

Der begnadete Profi-Koch zelebriert küchentechnische Festspiele und dampft allein durch nonchalantes Erzählen des Inhalts diverser Töpfe und Pfannen mein Koch-Ego auf Erbsengröße zusammen.    

Immerhin bleiben noch diverse Herausforderungen zu knacken.
In Anbetracht resoluter Enkelschaft meiner Göttlichen und keines Endes in Sicht und der noch völlig unausgelasteten Ebene meiner eigenen Enkel-DNA ergeben sich Chancen und Risiken.
Die Chance, irgendwann amal entspannt bei einem Fortpflanz einzureiten und sich gemütlich an den gedeckten Tisch zu setzen, um nachher alle Ausflüchte zu nützen, den drohenden Bauplänen von noch nicht zusammengestecktem Spielzeug zu entrinnen.
Die Gefahr, in der generalstabsmäßigen Planung der Völkerwanderung zu den jeweiligen Kids irgendwann beim falschen Fortpflanz aufzuschlagen.

Und die Option, im noch rollatorfreien Alter Weihnachten zu zweit irgendwo ganz weit weg zu feiern. 

Goa ned so schlecht, wauns mi frogn...


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Kommentare: 2
  • #1

    Ein Fels in der Brandung (Samstag, 07 Dezember 2019 14:21)

    Du hast ja sowas von Recht und ich wünsche dir noch in einem Alter wo du an einem Rolator oder Stock etwas Unterstützung suchen musst, das allerschönste auch wenn es nicht mehr so gut geht �

  • #2

    Marion (Montag, 09 Dezember 2019 12:24)

    Ich glaub lieber Doc, du würdest es vermissen, deinen Xmas Stress :-)))