Anstand.

2002. Mein langjähriger Kreativ-Partner und ich sitzen zusammen und brüten, wie wir unseren Kampagnenvorschlag für den Gusenbauer-Wahlkampf anlegen wollen.

(Wir waren zum Pitch eingeladen worden. Das hat uns - nur, weil wir mitmachten - einen Kunden gekostet und den Zuschlag auch nicht eingebracht.) 

Ich liebte diese seltene Zweisamkeit mit meinem Partner. Wir waren sehr verschieden und zu diesem Zeitpunkt waren die Unterschiede bereits auf eine schmerzhafte Art unübersehbar geworden. Aber in Qualitätsfragen waren wir uns bis zum bitteren Ende immer einig gewesen.

Wir sitzen also zusammen und probieren Ideen-Ansätze aus. 

Ich bringe den Begriff "Anstand" ins Spiel.

Da regt sich dieses ganz besondere Gespür meines Partners und er sagt: "Das geht leider nicht. Anstand ist von den F-lern besetzt." 

Sehr ungern musste ich ihm Recht geben. 

Und eine kürzlich mit größter Faszination absolvierte Lektüre einer Buch-Neuerscheinung  (Michaela Reiter: Die Ehemaligen) bestätigt ganz nachdrücklich die Einschätzung meines Partners. 

Schon seit der Gründung des VdU wurde "anständig" von den Ewig-Gestrigen Nazis als Synonym für "strikt in der (verbotenen) Ideologie verbleibend und damit höchst ehrenhaft" verwendet. 

Jörg Haider hat damit später seine verwerfliche Rhetorik befeuert. 


Nun wird der Anstand wieder hervorgeholt. Ähnlich wie der Heimat-Begriff ausgerechnet von den "Grün-Links-Versifften". 

Anstand sollte der Maßstab sein, mit dem man den türkisen Begehrlichkeiten in den Regierungsverhandlungen entgegentreten sollte.

Abgesehen davon, welches Licht das auf eine angeblich christlich-soziale Partei wirft: Es sieht so aus, dass der Anstand trotzdem eine spezielle Kalibrierung braucht, um nicht unversehens wieder in der rechten Kloake zu landen (siehe: Eine "anständige"/"ordentliche" rechts-konservative Regierung). 

Vielleicht müsste man noch viel "kitschiger" werden und Begriffe wie "Menschlichkeit" oder sogar "Nächstenliebe" strapazieren. 

Das Zeitfenster in der Weihnachtszeit ist offen und würde eine Durchmischung der punschgeschwängerten Charity-Missionen mit realer Empathie ermöglichen. 


Wenn Empathie-Losigkeit in Menschenverachtung zu kippen droht, ist eine resolute Dosis von humanem Schmalz nicht unangemessen.     

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Kommentare: 1
  • #1

    Marion (Donnerstag, 19 Dezember 2019 17:26)

    Zum Wort Anstand hat sich das Wort "redlich" gesellt. Grade die redlich Anständigen sind die unredlich Unanständigsten.