Platon. "Gerechtigkeit".
Platon unterschied zwischen arithmetischer Gerechtigkeit, der Gleichverteilung von Freiheiten, Wahlrecht und Abgeordnetenentgelt.
Sowie der geometrischen Gerechtigkeit, der Verteilung im angemessenen Verhältnis, ohne die die notwendigen Hierarchien in einem Staat nicht zu begründen sind.
Platon entwickelt in seinem Werk Politeia eine eigene Konzeption der Gerechtigkeit als Seelenvermögen.
Gerechtigkeit ist eine Funktion der Seele, so wie Augen und Ohren die Funktion des Sehens und Hörens für den Leib haben. Daher besteht Gerechtigkeit darin, dass „man das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt“.
Jeder soll das Seine (für die Gemeinschaft, den Staat) tun, und zwar in Art und Umfang so, wie es seinem Wesen, seinen Möglichkeiten und den individuellen Umständen entspricht (sog. Idiopragie).
Ungerecht handelt, wer sich in den Zuständigkeitsbereich eines anderen einmischt.
Für Platon hat die Seele die drei Grundvermögen Begehren, Muthaftigkeit und Vernunft.
Diesen drei Grundvermögen entsprechen die drei Tugenden Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit.
Um diese Tugenden richtig einsetzen zu können, bedarf es als vierter Kardinaltugend der Gerechtigkeit, die wegen ihrer Ordnungsfunktion die höchste Tugend ist. Für Platon erreicht der Gerechte ein höheres Glück als der Ungerechte.
Für Platon ist Gerechtigkeit eine innere Haltung der Seele und als innerseelische Angelegenheit nicht aus einem Bezug zu anderen Personen, denen gegenüber man sich gerecht verhält, zu erschließen.
Gerechtigkeit ist für Platon eine ewige, unveränderliche, überweltliche Idee, an der die Seele Anteil hat.
Platon verbindet sein auf die Einzelperson bezogenes Gerechtigkeitskonzept mit dem Modell eines idealen gerechten Staates.
In einem gerechten Staat übernimmt jeder eine Funktion, die seinen Fähigkeiten entspricht.
Diejenigen, bei denen das Begehren vorherrscht,
sollen sich der Erwerbskunst widmen und Handwerker, Bauern oder Kaufleute werden.
Mutige sollen ihre Tapferkeit ausbilden und die Aufgabe des Wächters übernehmen.
Wer über genügend Vernunft verfügt und mit Wissbegier nach Weisheit strebt, ist geeignet, zu den Philosophenherrschern zu gehören, die den Staat leiten.
Dabei soll er sich an der Idee des Guten orientieren.
„Der trefflichste, gerechteste und zugleich glücklichste Mensch ist der, der am meisten königlich gesinnt ist und sich selbst königlich beherrscht“.
Cicero. "Gerechtigkeit".
Cicero bezeichnete die Gerechtigkeit als die vernunftgemäße Verhaltensweise, die am ehesten geeignet sei, die Zusammengehörigkeit der Menschen und die Bewahrung der Lebensgemeinschaft zu fördern. Damit in Verbindung brachte er die Güte.
„Die erste Aufgabe der Gerechtigkeit aber ist es, dass keiner dem anderen schadet [nemo neminem laede], es sei denn, herausgefordert durch Unrecht, sodann dass er Gemeingut als Gemeingut, Privates als das Seine behandelt.“
Auch Cicero vertrat die Forderung „Jedem das Seine“ (suum cuique). Für ihn war Gerechtigkeit allerdings mehr als nur ein sozialer Ausgleich und die Vermeidung von Unrecht.
Weil die Menschen „um ihrer Mitmenschen willen gezeugt sind, damit sie, einer dem anderen, von sich aus gegenseitig nützen können, so müssen wir darin der Natur als Führerin folgen, den gemeinsamen Nutzen (communis utilitates) in den Mittelpunkt stellen und durch Gegenseitigkeit der Leistungen –durch Geben und Nehmen –, durch Fachkenntnisse, Opferbereitschaft und Mittel das Band zwischenmenschlicher Zusammengehörigkeit festigen.“
Der neue Aspekt, den Cicero einbrachte, ist die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und die Pflicht, an deren Förderung mitzuwirken. Als weitere Grundanforderung an die Gerechtigkeit sah Cicero die Verlässlichkeit (fides), also Wahrhaftigkeit und das Einhalten von Versprechen. Gerechtigkeit als Tugend geht nach Cicero über das formale Einhalten von Gesetzen hinaus. Und er bemerkt, dass Gesetzestreue im Einzelfall schädlich sein kann. Dem vom Menschen geschaffenen Recht ist ein Naturrecht übergeordnet:
„Das wahre Gesetz ist die rechte Vernunft in Übereinstimmung mit der Natur. Es gilt überall, ist unveränderlich und ewig. Seine Vorschriften fordern zur Pflichterfüllung auf, und seine Verbote halten davon ab, Böses zu tun. In Rom und Athen, heute und zu allen Zeiten werden dieselben, immergültigen und unveränderlichen Gesetze gelten.“
Augustinus/Thomas von Aquin. "Gerechtigkeit".
Augustinus.
Augustinus war der Philosoph, der das philosophische Gedankengut des Platonismus mit den Grundgedanken des Christentums in der Tradition der Kirchenväter systematisch zusammenführte. Vollkommene Gerechtigkeit im jüdisch-christlichen Sinne ist die Gerechtigkeit, die der Mensch allein durch die Gnade Gottes erreicht. Gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit ist die menschliche Gerechtigkeit durch den Sündenfall immer unvollkommen. Dennoch sind die Tugenden, und hier insbesondere die Kardinaltugenden für das irdische Leben wichtig, da es erst hierdurch eine natürliche Ordnung erhält.
„Die Gerechtigkeit, deren Aufgabe es ist, jedem das Seinige zuzuteilen, wodurch im Menschen selbst eine gewisse Ordnung der Natur aufgerichtet wird, so dass die Seele Gott und das Fleisch der Seele unterworfen wird.(„iustitia, cuius munus est sua cuique tribuere - unde fit in ipso homine quidam iustus ordo naturae, ut anima subdatur deo et animae caro“)
Augustinus sieht Gerechtigkeit dabei aber auch als Anforderung an die weltliche Herrschaft, welche ohne Gerechtigkeit lediglich eine große Freibeuterei ist („Iustitia remota quid sunt regna nisi magna latrocinia!“)
Thomas von Aquin.
Die Lehre von der Vollkommenheit und dem Primat der Gerechtigkeit Gottes als vorherrschendes Bestimmungsmerkmal der Gerechtigkeit reicht bis in die Hochscholastik des Mittelalters. Thomas von Aquin verband sie mit der Barmherzigkeit:
„Das Werk der göttlichen Gerechtigkeit setzt immer das Werk der Barmherzigkeit voraus und gründet in ihr.“
Bei der Behandlung der Gerechtigkeit als sittliche Tugend knüpfte Thomas an Aristoteles an. Einerseits nennt er als Kardinaltugend die iustitia generalis, die sich vor allem auf den anderen richtet (iustitia ad alterum). Diese ist die iustitia legalis, welche das Gemeinwohl im Blick hat. Davon unterschied er die iustitia particularis, die spezielle Tugend, welche sich auf den einzelnen Menschen bezieht. Thomas zufolge existieren zwei spezielle Tugenden, die iustitia commutativa für Vertragsbeziehungen und die iustitia distributiva, welche er als „austeilende Gerechtigkeit“, als Gabe eines Herrschers betrachtet.
Wie Aristoteles hob auch Thomas die Bedeutung der Billigkeit als individueller Ausgleich zu den naturgemäß allgemeinen und insofern starren gesetzlichen Regelungen hervor.
Thomas Hobbes/John Locke. "Gerechtigkeit".
Von Thomas Hobbes wurde eine neue Sichtweise auf die Frage der Gerechtigkeit eingebracht.
Hobbes löste sich von der Vorstellung einer von Gott gegebenen Ordnung und betrachtete in einem Gedankenmodell den Menschen in einem (fiktiven) Naturzustand. In diesem gibt es weder Eigentum noch Gerechtigkeit oder eine gesetzgebende Obrigkeit mit der Möglichkeit des Zwanges.
Der Mensch ist des Menschen Wolf (Homo homini lupus est, De Cive: Widmung). Es findet ein Krieg aller gegen alle statt (Bellum omnium contra omnes, Leviathan)
Das einzige natürliche Recht (ius naturale) des Menschen ist das auf Selbsterhaltung. Er ist sich selbst sein eigener Richter, der sich an seinen eigenen Zwecken orientiert (De Cive, 9). Hierdurch gerät er notwendig in Konflikt mit anderen. Aus diesem Zustand der Angst kann sich der Mensch nur durch vernünftige Klugheit (recta ratio) befreien, die ihn dazu bringt, natürlichen Geboten (leges naturae) zu folgen. Diese sind Suche nach dem Frieden,
Bereitschaft zugunsten des Friedens das eigene natürliche Recht einzuschränken,
Einhaltung von Verträgen, Dankbarkeit und Entgegenkommen statt Rache und Nachtragen.
Der eigene vernünftige Wille fordert die Anerkennung einer Herrschaft, die den Frieden auch mit Zwangsgewalt durchsetzt. Als Konsequenz wird das natürliche Recht im Wege eines Gesellschaftsvertrags – eines zeittypischen „Gedankenexperiments zu legitimatorischen Zwecken“ – auf einen Souverän übertragen.
„Aus dem Gesetz der Natur, das uns verpflichtet, auf einen anderen solche Rechte zu übertragen, deren Beibehaltung den Frieden der Menschheit verhindert, folgt ein drittes, nämlich: ‚Abgeschlossene Verträge sind zu halten.’“ (Leviathan, 15)
Die Konsequenz dieser Überlegungen ist ein absoluter Rechtspositivismus. Durch die unwiderrufliche Übertragung des natürlichen Rechtes auf den Staat ist der Mensch uneingeschränkt an die Einhaltung bestehender Gesetze gebunden. Andererseits entsteht kein Unrecht, das nicht durch einen Gesetzesverstoß oder einen Vertragsbruch begründet ist.
Bei Hobbes ist der Gesellschaftsvertrag gedanklich so konstruiert, dass jeder seine Freiheitsrechte an den Staat abtritt. Hierdurch wird der Staat zu nichts verpflichtet, da dieser nicht unmittelbar am Vertrag beteiligt ist. Der Staat kann selbst kein Unrecht begehen, da er die uneingeschränkte Macht der Rechtsetzung hat. Der Staat bzw. der Inhaber der Macht ist sein eigener Souverän.
Hobbes legitimierte damit den absoluten Herrscher, dem die Bürger und selbst die Kirche uneingeschränkt unterworfen sind.
Er stellte sich im englischen Bürgerkrieg (1642–1649) auf die Seite der Monarchisten.
Im Gegensatz zu Hobbes unterstellte John Locke ein göttliches Naturrecht. Als Schöpfer hat allein Gott ein Recht am Leben. Der Mensch darf daher weder sein eigenes, noch das Leben eines Anderen beeinträchtigen.
Demgemäß ist der Naturzustand „ein Zustand vollkommener Freiheit“. Der Mensch ist berechtigt „innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.“ (Two Treatises of Government, II,4)
Eigentum entsteht durch Arbeit. Niemand darf sich mehr aneignen, als er selbst verbrauchen kann.
Geld allerdings ist ein abstrakter Gegenstand, von dem beliebig viel angesammelt werden darf, da es nicht verderblich ist.
Leben, Freiheit und Besitz sind die elementaren Naturrechte des Menschen. Sie existieren anders als bei Hobbes bereits vorstaatlich. Jeder Einzelne ist für die Vollstreckung des natürlichen Gesetzes zuständig und „berechtigt, die Übertreter dieses Gesetzes in einem Maße zu bestrafen, wie es notwendig ist, um eine erneute Verletzung zu verhindern.“ (II, 7) Da der Naturzustand unsicher ist und die Naturrechte nicht gesichert sind, schließt der Mensch einen Gesellschaftsvertrag.
Das besondere an Lockes Konzeption ist, dass die Gesetze und die staatliche Verfasstheit durch den Willensakt der Bürger gerechtfertigt werden.
Der Staat ist nicht mehr durch Gott oder einen absoluten Herrscher (wie bei Hobbes) begründet, sondern repräsentiert den Willen seiner Bürger.
Daraus ergibt sich das Recht der Bürger, die staatliche Gewalt aufzuheben und zu verändern, wenn diese nicht mehr ihrem Willen entspricht. Die Macht des Staates dient der Verwirklichung des menschlichen Daseins und darf sich nicht gegen den Menschen richten.
Gewaltenteilung ist für Locke nicht mit Naturrecht begründet, sondern ein Gebot der Klugheit. Der Gesetzgeber ist vom Volk eingesetzt und an stehende Gesetze, eine Verfassung, gebunden. Die vollstreckende Gewalt ist ihrerseits an die Gesetze gebunden.
„Wer immer deshalb die legislative oder höchste Gewalt eines Staatswesens innehat, ist verpflichtet, nach eingeführten, stehenden Gesetzen zu regieren...
... Und mit all dem darf kein anderes Ziel verfolgt werden als der Friede, die Sicherheit und das öffentliche Wohl des Volkes.“
Karl Marx. "Gerechtigkeit".
Für Karl Marx existiert keine überzeitliche oder absolute Gerechtigkeit; vielmehr ist sie wie andere ideologische Formen auch stets an bestimmte historische und ökonomische Voraussetzungen gebunden.
Marx hatte über die Philosophie Epikurs promoviert und dessen Theorie des Vertrages als die der Natur des Menschen angemessene Rechtsform kennengelernt.
Bereits seit seinen politischen Frühschriften kritisiert er zum einen das Recht als Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, und verfolgt zugleich das normative Ziel menschlicher Emanzipation.
Im allgemeineren theoretischen Rahmen des von Marx im Zusammenwirken mit Friedrich Engels formulierten historischen Materialismus bildet das Recht einer Gesellschaft gemeinsam mit Staat, Religion, Wissenschaft und Kunst den Überbau über einer Basis aus materieller Produktion und Verkehr.
Dadurch erscheine die Gesellschaft vom bürgerlichen Standpunkt aus als gerecht:
„Solange man Bourgois ist, kann man nicht umhin, in diesem [Klassen-]Gegensatz einen Zustand der Harmonie und ewigen Gerechtigkeit zu erblicken.“
Die notwendige Voraussetzung für eine Änderung sei die Entwicklung der Produktivkräfte, „weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müßte, weil ferner nur mit dieser universellen Entwicklung der Produktivkräfte ein universeller Verkehr der Menschen gesetzt ist, daher einerseits das Phänomen der ‚Eigentumslosen‘ Masse in Allen Völkern gleichzeitig erzeugt (allgemeine Konkurrenz), jedes derselben von den Umwälzungen der andern abhängig macht, und endlich weltgeschichtliche, empirisch universelle Individuen an die Stelle der lokalen gesetzt hat“.
An Stelle dieser bürgerlichen Gesellschaft soll „eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ treten.
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“
Ob die Gerechtigkeit ein selbständiger zentraler Wert oder – dem Marx’schen Postulat entsprechend – ausschließlich Ausdruck objektiver Verhältnisse und damit ein abgeleiteter ist: diese Kontroverse existiert in sozialistischen Zusammenhängen bis heute.
Friedrich von Hayek. "Gerechtigkeit."
Für Friedrich August von Hayek ist das Recht der Gesellschaften in einem komplexen Evolutionsprozess des gemeinsamen Zusammenlebens entstanden. Entsprechend kann man eine Moralordnung nicht erkennen, sondern nur erlernen. Eine Gesellschaft wird umso stabiler, je mehr sich die Moralordnung in der Rechtsordnung abbildet.
Eine Beurteilung der Verteilungsergebnisse des Marktes mit dem Maßstab der Gerechtigkeit ist für Hayek ein Missverständnis. Wie ein Spiel ist auch der Markt ein System mit Regeln. Gerecht ist ein Ergebnis, wenn die Spielregeln eingehalten werden. In diesem Sinne ist ein 1:1 im Fußball genauso gerecht wie ein 6:0. Eine Umverteilung kommt einer nachträglichen Korrektur eines Spielergebnisses gleich, auch wenn sie im Namen der Gerechtigkeit geschieht. Was jemand im Rahmen bestehender Regeln in einem freien Markt erworben hat, ist legitimes Eigentum. Ein Rückgängigmachen durch die Politik ist nach Hayeks Verständnis ungerecht.
Entsprechend sind die Rede von sozialer Gerechtigkeit und das Ziel einer vom Verdienst abhängigen Einkommensgleichheit ein Kategorienfehler. Der Begriff soziale Gerechtigkeit gehört „nicht in die Kategorie des Irrtums, sondern in die des Unsinns, wie der Ausdruck ‚ein moralischer Stein’.“ Er betrachtete „Nothilfe“ als eine „Pflicht der Gemeinschaft“. Da der Markt nicht nur auf Leistung und Geschicklichkeit beruht, sondern in hohem Maß auch von Glück und Pech bestimmt ist, ist ein Ausgleich gegen Armut berechtigt, soweit der Markt versagt. Gegenstand von Politik kann nur ein auskömmliches Leben, nicht aber Verteilungsgerechtigkeit sein.
„Alle modernen Regierungen haben Fürsorge für die Bedürftigen, vom Missgeschick Betroffenen und die Arbeitsunfähigen geschaffen und haben sich mit Fragen des Gesundheitswesens und der Verbreitung von Wissen befasst. Es besteht kein Grund, aus dem der Umfang dieser reinen Dienstleistungen mit dem allgemeinen Wachstum nicht erweitert werden sollte […] Es kann kaum geleugnet werden, dass mit zunehmendem Reichtum jenes Existenzminimum, das die Gemeinschaft für die, die sich nicht selbst erhalten können, immer geboten hat, und dass das außerhalb des Marktes geboten werden kann, allmählich steigen wird, oder dass die Regierung nützlicher Weise, und ohne Schaden anzurichten, in solchen Bemühungen hilfreich oder sogar führend sein kann.“
Wogegen sich Hayek massiv wehrte, sind die Eingriffe des Staates in den Markt selbst. Gelenkte Wirtschaft, das ist sein Hauptargument, verhindert Kreativität und Eigeninitiative und ist damit notwendig weniger produktiv, erzeugt weniger Fortschritt und führt damit zu weniger Wohlstand, als der Markt es kann. Deshalb lehnte er grundsätzlich jede Form von Subventionen ab. Bezogen auf den Markt darf es nur Verfahrensgerechtigkeit durch Festlegung von Spielregeln geben. Eine marktkonforme Sozialpolitik kann hingegen die Sicherheit und Zufriedenheit befördern und damit ihrerseits zur Entfaltung der Produktivität des Marktes beitragen.
Vor diesem Hintergrund hält Hayek die Forderung nach einer Gleichheit im Einkommen für nicht legitim. Zu respektieren ist lediglich die rechtliche und politische Gleichheit jeder Person.
Immanuel Kant. "Gerechtigkeit".
(Ende der Serie)
Gerechtigkeit ist für Immanuel Kant ein unverzichtbarer Wert, „denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth mehr, daß Menschen auf Erden leben“.
Er ersetzte den Gedanken des Naturrechts durch ein Vernunftrecht. Ein Naturrecht als überpositives Recht, zum Beispiel ein göttliches Recht, kann der Mensch nicht erkennen. Der Mensch ist mit den Mitteln der Vernunft für jede Erkenntnis auf empirische Anschauungen, auf seine Sinne, angewiesen. Ihm bleibt als Faktum nur die praktische Vernunft, die die theoretisch nicht zu entscheidende Frage, ob es eine Freiheit gibt, so beantwortet, dass es die Freiheit gibt.
Aus dem Gebot der praktischen Vernunft, die Freiheit des Menschen als regulative Idee anzunehmen, folgerte Kant die Autonomie des Menschen. Die Selbstbestimmung des Menschen macht ihn zum grundlegenden Zweck seines Handelns.
Hiergegen zu verstoßen, verbietet der kategorische Imperativ (Menschenrechtsformel):
„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Der Mensch ist aus seiner Vernunft heraus verpflichtet, die Persönlichkeit und in ihr die Würde des Menschen zu achten. Dies gilt gegenüber jedem Menschen und ist somit ein Gebot der Gleichheit. Die Freiheit des Menschen ist nicht nur eine innere Freiheit, in der der Mensch gegenüber seiner Vernunft sich selbst verantwortlich ist und hieraus die (innere) Pflicht zur Sittlichkeit hat, sondern sie gilt auch im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander.
Als Instrument der praktischen Umsetzung der Gerechtigkeit betrachtete Kant das Recht, in dem das Prinzip der Freiheit durch eine wechselseitige Bindung gewährleistet wird. Hierzu formulierte er den „Kategorischen Rechtsimperativ“.
„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“
Die Freiheit des Einzelnen und seine Autonomie wird zwar durch das Recht gewährleistet; aber durch die für alle geltende Bindung des Rechts wird die Freiheit auch beschränkt. Die vom Recht gewährleisteten Handlungsfreiheiten sind also wechselbezüglich:
Die Freiheiten eines jeden finden ihre Grenzen an den Freiheiten anderer. Das Recht insgesamt ist ein System vernünftiger Ordnung der Freiheit. Diese Bestimmung der (iuridischen) Gerechtigkeit ist rein formal.
Doch hat die Freiheit nicht nur formale, sondern auch materielle Komponenten und erfordert auch reale Entfaltungsmöglichkeiten. Für die materiale Gerechtigkeit bedarf es nach Kant der empirischen Erfahrung. Nach Fichte (der hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit der Freiheiten mit Kant übereinstimmt), müsse jedem die Chance geboten werden, durch persönliche Leistung etwas zu erwerben, und es solle „nur an ihm selber liegen, wenn einer unangenehmer lebt“.
Kommentar schreiben