Die Isolation, zu der wir uns aus Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Lebensmenschen nötigen, tut was mit uns.
Am Wochenende habe ich mit meiner wunderbaren Frau einige Themen ganz intensiv besprochen. Zum Beispiel, dass alles, was wir jetzt er- und durchleben, auch einem relativierenden Blick unterzogen werden könnte. Mein Großvater hat im 1.WK in fünf Isonzo-Schlachten gekämpft, sich dabei lebenslange körperliche Behinderungen zugezogen (von den seelischen ganz zu schweigen) und war als Anti-Faschist während der Nazizeit ständig in Gefahr und monatelang im Gefängnis. Dann haben er und seine Familie beim Rauswurf der Sudentendeutschen alles verloren. Und doch war er für seine Enkel immer eine heitere, ermutigende Lichtgestalt.
Jetzt kämpfen viele von uns um ihre Jobs, ihre (eigenen) Unternehmen, um die Zuversicht, dass alles wieder gut wird. Darum, im nächsten Monat die Miete zahlen zu können und dass der Unternehmer, bei dem sie arbeiten, doch hoffentlich zur Besinnung kommt und auf Kurzarbeit umschaltet.
Und doch ist Relativieren ein Blödsinn. Aber es schadet nicht, sich immer gewärtig zu halten, was sich grade in den Lagern auf Lesbos abspielt und in den Kriegsgebieten, wo die Zivilbevölkerung in die grausamsten Qualen geschickt wird.
In diesen Tagen habe ich oft darüber nachgedacht, wie viele Krisen ich wohl schon in meinem Leben kennengelernt und durchlebt habe (die persönlichen Lebenskrisen ausgenommen). Die erste, an die ich mich erinnern kann, war 1973 - die sogenannte "Öl-Krise" - als die erdölexportierenden Staaten im Nahen Osten die Verknappung des schwarzen Goldes als politisches Instrument einsetzten.
Von der Hochkonjunktur direkt in die Rezession. Vom väterlichen Ächzen beim Abendessen - so viel Arbeit, so viel Zirkus! - direkt in die Weltuntergangsstimmung.
Seit 1973 begleitet mich die "Krise" durch mein Leben. Die widerlichsten Krisen waren die herbeigeredeten und die herbeigeschriebenen.
Ich kann mich noch erinnern, als "Der Standard" Weihnachten 2008 zu einer eleganten Veranstaltung geladen hatte und der Geschäftsführer in seiner Ansprache sagte: "So, jetzt lassen wir es uns noch einmal gut gehen, weil ab Jänner ist Krise." F...
Aber auch schon früher wuchs sich die "Angst-Lust" (im Englischen: German Angst) zu ganz schlimmen Monstern aus. Im Herbst 1990 befand ein amerikanischer Börsenanalyst, jetzt warats dann doch genug mit dem Ansteigen der Konjunktur,
die müsste jetzt gefälligst auch wieder mal runterkommen. Und die Zeitungen und Magazine fanden, das wäre doch endlich wieder eine neue Geschichte.
Und die Unternehmen haben sich vorauseilend in die Hosen gemacht und vorsichtshalber einmal auf halbe Kraft geschaltet.
Ich habe das aus unserem österreichischen Mauseloch täglich schlimmer werden sehen, als meine Kunden in der Werbeagentur ohne tatsächliche Not die Werbeausgaben zurückgefahren haben und mit physikalischer Präzision hat sich dann das wirtschaftliche Drehmoment eingebremst.
Nichts ist irrationaler, als die Börse. Und wahrscheinlich ist die Angst ums Geld auch größer, als die Angst ums Leben.
Und jetzt haben wir - zum ersten Mal seit Tschernobyl - wieder kollektive Angst um die Gesundheit. Als der Atomreaktor 1986 hochging, war meine damalige Frau mit unserer Tochter schwanger und der Gedanke, ob dieses winzige Lebewesen gesund auf die Welt kommen würde, hat uns extrem verfolgt.
Jetzt bin ich in der Risikogruppe. Altersmäßig erst am unteren Rand. Aber seit Herbst wegen meines damaligen Vorhofflimmerns mit einer sogenannten Vorerkrankung unterwegs. Es geht mir wirklich gut. Meine Medikamente wirken wunderbar, ich kann mich wieder sportlich bewegen und bin beim Arbeiten sogar fokussierter, als vorher.
Und ich achte besser auf meine Trigger. Anfangs gelang mir das noch viel mehr, in den letzten Wochen bin ich doch immer wieder einmal falsch abgebogen.
Da fing es wieder an, mit dem Ärgern und dem Zorn, wenn mich türkise Freunde anagitierten, ob ich denn nun nicht doch amal stolz sein könnte auf "unseren" Kanzler.
Nein, kann ich nicht.
Denn er macht ja nur endlich seinen Job. Und er macht ihn eh so, dass man sich schon wieder fragen muss, warum es denn so schwer ist, wirklich "unser" Kanzler zu sein.
Und derweil krepieren und vegetieren auf Lesbos die Kinder, die der große Krisenmanager leider nicht herausholen will. Wegen dem Pull-Effekt warats...
Da möchte man ihn an seinen gegroomten Haaren ziehen (nein, es ist nicht der Neid, der mich treibt) und fragen, was hinter seinem leeren Blick so los ist.
Genau solche Gedanken schreibe ich jetzt in meinem Blog. Weil für genau die hab ich mir den eingerichtet. Und ich teile den Blog nicht mehr auf Facebook. Sondern schicke ihn Euch, die Ihr so großzügig wart, mir Eure Mail-Adressen zu spendieren.
Lassen wir uns nicht unterkriegen. Nicht vom Virus. Nicht von der Schlechtigkeit.
Nicht von der Dummheit und der Borniertheit.
Freuen wir uns aufeinander und miteinander.
Und wenn der ganze Wahnsinn vorbei ist, dann machen wir ein Treffen.
Irgendwo draußen. Das wird sich schon ausgehen.
Und dann simma hoffentlich gescheiter und besser drauf.
Weil wir (schon) wieder eine Krise überstanden haben.
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Marion Bald (Montag, 23 März 2020 19:28)
Ich habe mir auch schon mal ein großes hannes blog Treffen vorgestellt. Das würde mich riesig freuen euch und dich life kennenzulernen. Auf das es bald vorüber ist. Stay healthy und happy. Bis Bald
Elisabeth (Montag, 23 März 2020 19:53)
Ich danke auf jeden Fall, dass ich ein Teil dieser Gruppe sein darf und teilhaben kann an Ihren Geschichten und Gedanken �