Es ist historisch keine Besonderheit, dass politisches Führungspersonal keine hohe Meinung von den staatspolitisch Geführten hat.
Über viele Jahrhunderte waren kirchliche und profane Würdenträger von einer grundlegenden Skepsis durchdrungen, ob "das Volk" wohl nicht doch zu blöd, zu faul, zu illoyal wäre, um sich den Segnungen des obersten Verantwortlichen als würdig zu erweisen. Dementsprechend niedrig war auch die Bereitschaft der Obersten, kommunikativ auf Gegenverkehr zu schalten. Mein wunderbarer Institutsvorstand auf der Politikwissenschaft pflegte demgemäß auch gerne zu zitieren (wen, weiß ich nicht mehr): "Geh nicht zu Deinem Fürst, wenn Du nicht gerufen würst!"
Vielleicht meinte er damit auch die abschreckende Wirkung auf Anmeldungen zu seiner Sprechstunde. Das Nicht-Beherzigen dieses Gedankens im Kleinwalsertal hat er leider nicht mehr erlebt.
Von Wolfgang Schüssel ist überliefert, dass er "das Volk" durchaus für zu deppert hielt, um die Genialität seiner kanzlerischen Ratschlüsse zu begreifen und zu würdigen.
So wie es überhaupt zum schwarz-türkisen Modus zu gehören scheint, die "Notwendigkeit" von Reformen mit zumindest zwei Grundtonarten anzuspielen:
1. "Wir" haben leider einen chronischen Bodensatz von Schmarotzern und Systemschädlingen und diese Missetäter liegen allen Sparsamen und Fleißigen so auf der Tasche, dass man - leider, leider - nun Gegenmaßnahmen ergreifen muss,
die nun auch auf die "Unschuldigen" durchschlagen werden.
Das ist die sattsam beliebte "schwarze" Pädagogik (Wortspiel beabsichtigt), die man aus überwunden geglaubten finsteren Schulzeiten kennt: So lange die Klasse den Bösewicht, der das Fenster eingeschlagen hat, nicht herausrückt, müssen halt alle nachsitzen.
Und dann spricht der junge Herr Klassenvorstand besorgte Worte:
Die arbeitsscheuen Eltern würden in der Früh nicht aufstehen und die Kinder mit einem grad noch zusammengekleisterten Jausenbrot zur Schule schicken.
Oder: Weil doch abertausende Sozialbetrüger mit asylantischem Hintergrund die Arztpraxen missbrauchen, müssten nun Abermillionen ausgegeben werden,
um die e-cards mit Fotos auszustatten. (Ein Personalausweis hätte zur Identifikation gut gereicht, wie jeder, der sich einmal bei einer Sprechstundenhilfe bemerkbar gemacht hat, gut erzählen kann.)
2. Um der paranoiden Verschwendung oder - im Effekt genauso schlimm - misanthropisch geplanten Benachteiligung eine besonders nachhaltige Wirksamkeit zu verleihen, müssen die Strafexpeditionen natürlich auch so richtig weh tun.
Ja, da kann man nun leider nix machen. Heilung tut weh, weil sonst wirkt sie nicht.
Auch ein Relikt finsterer pädagogischer Irrwege: "Du glaubst ja gar nicht, wie weh es mir selber tut, wenn ich Dir jetzt den Hintern versohle - aber sonst wirkt es nicht und wir wollen doch beide, dass alles endlich besser wird!"
Das Misstrauen und die Menschenverachtung als politisches Grundrauschen hat sich in den letzten Jahren auf breiter Ebene eingenistet.
Und leider (!) hat es auch einen intensiven Nachhall in einem wachsenden Anteil der Bevölkerung erhalten. Die Strenge und der Schmerz kann gar nicht groß genug sein, solange man selbst nicht zu den Betroffenen gehört.
Das hat man früher das "Florianiprinzip" genannt, weil die Menschen zum Hl. Florian gebetet haben, er möge doch lieber dafür sorgen, dass das fremde Haus brennt und das eigene verschonen.
Jetzt, wo die Kollateralschäden des Corona-Lockdowns immer deutlicher sichtbar werden, zeigt sich auch auf bisher breitester Ebene, was die politische Mieselsucht anrichtet. Das vollmundig versprochene Geld kommt bei den Menschen nicht an.
Zu spät oder gar nicht. Das sind die bitteren Alternativen.
Und das kostet Hundertausenden die Arbeitsplätze und noch viel mehr müssen mit Einkommensverlusten über die Runden kommen. Ein gewaltiger Aderlass an Kaufkraft und Zuversicht und Selbstwert bei den Betroffenen und in der Wirtschaft insgesamt.
Allmählich melden sich ernsthafte Journalisten (ernsthafte Journalisten! Nicht die Chefredakteurin des Kurier!) und monieren, dass das Misstrauen, ein paar Hundert Millionen würden vielleicht (!) bei den Falschen landen, die Wirksamkeit von Milliarden gefährdet. Vielleicht hat der seltsame Herr Nationalbank-Gouverneur doch mehr Fans in der Regierung, als es sich getrauen, zuzugeben, als er sinngemäß meinte, die Krise würde erwünschterweise die Spreu vom Weizen trennen.
Und nun soll das Sendungsbewusstsein der angelernten Nationalökonomen mit profunder Halbbildung auch noch exportiert werden. Die "frugal four" wollen das EU-Geld nur als Kredite vergeben und nicht als Hilfsgeld ohne Rückzahlung.
Das würde Mister Marshall die Zornesröte ins Gesicht treiben, der mit dem nach ihm benannten Plan nach dem Krieg durchaus eigennützig mehrere europäische Volkswirtschaften wieder hochgepäppelt hat. Mit nicht rückzahlbarem Geld wurde unter anderem auch Österreich wieder als Konsumnation repariert.
Gar keine blöde Idee, nur begreifen muss man sie halt. Denn dann würde man beispielsweise Italien, wohin wir einen Haufen unserer Güter exportieren, in die Lage versetzen, dass sie diese auch bezahlen können.
Aber das mit dem Misstrauen hat sich ja auch schon gegenüber den eigenen Leuten bezahlt gemacht. Spätestens, wenn im Herbst die Stundungen auslaufen und dann auch jene Unternehmen samt ihren Beschäftigten taumeln, die das heillos verspätete Eintreffen der aktuellen Hilfsmaßnahmen nicht schon jetzt aus der Kurve getragen hat.
Solange Großzügigkeit als Verschwendung und Großherzigkeit als Unmoral in Misskredit gebracht werden, wird der Schmerz als Mittel politischer Pädagogik den Alltag dominieren.
Kommentar schreiben
Michael Pleesz (Dienstag, 26 Mai 2020 11:13)
Lieber Hannes, du sprichst mir aus der Seele.