Würde.

In einem kleinen Dialog mit einem langjährigen Freund ist mir (wieder einmal) klar geworden, wie elementar der Wert von "Würde" für das Menschenbild ist. 

Aktiv und passiv. Und da hat eine kleine Googelei ganz gut geholfen, um auf den ersten Blick gleich vier verschiedene Bedeutungsebenen von "Würde" zu erhellen.

1. Der innere Wert eines Menschen. 

Zum Beispiel: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Die Ermordung von George Floyd hat ein schmerzhaft grelles Blitzlicht auf die Missachtung der Menschenwürde geworfen. Ein Blitzlicht, das wohl nicht einmal durch ein Stadion-Flutlicht ersetzt werden könnte, so breit ist das Feld der Missachtung dieses Grundelements der Humanität.

Vielleicht tun sich manche heutzutage auch mit dem Begriff "Wert" so schwer, wenn der Wert abseits des materiell Messbaren eingestuft werden soll. Den "Wert" von jemandem zu schätzen wissen, läuft ja direkt in das Vokabel "Wertschätzung" und da duftet es schon recht heftig nach Räucherstäbchen. 

Respekt würde wohl auch schon reichen und fehlt trotzdem so oft und so schmerzhaft.

Und für alle, die es unbedingt mit Zahlen haben wollen: Der Profit eines Unternehmens ist dort um bis zu 80% höher, wo der Respekt für die Menschen hoch ist. 

Respekt ist gewinnwirksam.

2. Die Achtung gebietende persönliche Ausstrahlung.

Zum Beispiel: "Etwas mit großer Würde tun."

Hier scheint die Gratwanderung zwischen dem Erhabenen und dem Peinlichen eine besonders schmale zu sein. Unzählige bewegte Bilder von Pomp und Eitelkeit tauchen vor dem geistigen Auge auf, wenn man an die Effektheischerei denkt, mit der sich die "Größen" aus Politik und Wirtschaft vor den Kameras gerieren.

Und auch die - bewegenden - Bilder, die unvergesslich bleiben, wenn jemand mit schlichtem Auftritt und wenigen würdevollen Gesten eine bereits nonverbal berührende Botschaft senden kann. Grade aktuell demonstriert von Justin Trudeau in seinem beinahe schweigenden Kommentar zur Lage in den USA oder - vor ein paar Jahren - durch Barack Obama, als er sich bei der Trauerfeier für ein afroamerikanisches Polizeiopfer mit sich ringend zum Gesang von "Amazing Grace" einstimmte.

Unvergesslich: Mein großartiger Schwiegervater und die Größe, mit der er sein Schicksal annahm, als er 90-jährig die Diagnose einer tödlichen Krebserkrankung erhielt. Sein stilles und würdevolles Leiden ist mir eine lebenslange Mahnung. 

3. Ein hohes Amt/ein Titel.

Zum Beispiel: "Akademische/geistige Würden anstreben."

Ich erinnere mich an meine Promotion im November 1983. Da standen wir aufgefädelt und waren so glücklich und so aufgeregt. Und mitten in dieses unglaubliche Glücksgefühl mahnte uns der Rektor, dass wir mit der akademischen Würde auch eine moralische Verantwortung übernehmen. Ja, sogar: Der Titel könnte uns wieder aberkannt werden, wenn wir unser reales Leben nicht gesetzeskonform führen.

So sehr ich diesen Anspruch damals als selbstverständlich betrachtete, so sehr war ich erschüttert, als serienweise Akademiker wegen diverser Betrügereien gerichtlich verurteilt wurden und zwar befristet ihre Freiheit verloren, aber nicht ihre akademischen Titel.

4. Das Ansehen einer Institution.

Zum Beispiel: "Die Würde des Gerichts achten."

Mit immer noch großem Vergnügen erinnere ich mich an die Zeit, als die Agentur, die ich führte, für eine große Institution arbeitete und wir bei einem harmlosen Wortspiel ermahnt wurden, die "Dignität" der Institution zu wahren.

Die lateinischen Spurenelemente in meinem Langzeit-Gedächtnis verwiesen mich sofort an "dignitas" (Würde) und der damals noch in Ehren verwendete Brockhaus auf die Verwendung von "Dignität" für hauptsächlich kirchliche Bereiche.

Der sakrale Bezug war für die staatsnahe Institution real völlig unpassend, der Anspruch auf die Unanfechtbarkeit der dort vertretenen Lehren war dann doch wiederum sehr treffend wiedergegeben.

Der leidvoll lernende Ösi wünscht sich ab und zu ein bisschen mehr Respekt für die Würde von Institutionen, wie es das Parlament oder Höchstgerichte darstellen...

 

Nun ja. Jetzt, wo die MaturantInnen ihre letzten Prüfungen abschließen, war es wieder einmal schön, ein bisschen in die gute alte Welt der "Referate" (noch älter: Rede-Übungen) einzutauchen und ein bissi was fürs Kreuzworträtsel-Wissen zu tun.

Nutzt es nix, so schadets nix. 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Ulli (Montag, 08 Juni 2020 19:17)

    Wie immer großartige und berührende Worte zu aktuellen Themen gefunden, vielen Dank :)
    Die Würde ist so viel weitreichender, als es sich auf den ersten Blick erschließt, bleibt zu hoffen, dass das langsam wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt...

    Liebe Grüße,
    Ulli

  • #2

    Irmgard (Dienstag, 09 Juni 2020 08:05)

    Lieber Hannes,

    Das ist wieder ein Artikel, der sehr zum Nachdenken anregt.
    Bei Punkt drei lese ich heraus, dass du es auch gerecht fändest, wenn mit der Gerichtsstrafe auch der Titel entzogen würde. Menschen, die im Gefängnis landen, verlieren nicht nur für ein paar Jahre ihre Freiheit sondern auch ihre Würde. Das ist, glaube ich, schwerwiegender als der Entzug des Titels.
    Ich habe im Rahmen meines Jusstudiums eine Exkursion in die Strafanstalt Stein und die dazugehörige Außenanstalt Oberfucha gemacht und wir haben in den letzten Jahren einen Bekannten, der wegen Wirtschafts-Kriminalität verurteilt wurde, im Gefängnis besucht.
    Bei all diesen Besuchen hatte ich/hatten wir die Gelegenheit mitzuerleben wie würdelos diese Menschen behandelt wurden. Mit jedem Satz beziehungsweise jeder Anweisung wurde diesen Insassen bedeutet, dass sie keinen Anspruch auf eine würdevolle/respektvolle Behandlung hätten. Es tut richtig weh solch eine Situation mitzuerleben, wie schmerzhaft muss es für die Betroffenen sein.
    Unser Rechtssystem sieht dem Freiheitsentzug und eventuell den Entzug eines Titels als Strafe vor. Dass jeden Tag und bei jedem Menschen die Menschenwürde verletzt wird, das sollte nicht Bestandteil der Strafe sein.