Im zweiten Stock in dem Haus, das wir in Linz bewohnten, lebte eine Familie. Die Eltern und drei Söhne. Der jüngste war in meinem Alter. Und wenn ich ihn zum Spielen besuchte, sah ich immer ein Foto auf der Kredenz stehen. Es zeigte meinen Freund, am Schoß seines Vaters sitzend, den Kopf an seine Schulter gelehnt, während der Vater ihm aus einem Buch vorlas.
Da hat mich immer ein sehr reales Neidgefühl beschlichen, weil so eine Situation kannte ich mit meinem Vater nicht.
Viele Jahre auch meines erwachsenen Lebens habe ich die Blaupause vermisst, an der ich mein eigenes Leben als Vater anlehnen könnte. Erst in den jüngst zurückliegenden Jahren stand eine schemenhafte Anleitung von ihm am Horizont.
Die Markierungen bestanden wesentlich aus Zeichen der Loyalität in schweren Zeiten und aus der ihm abgenötigten Toleranz, als ich mich nach heftigen Kämpfen mit meinen eigenen Plänen gegen seine vorgefassten Orientierungen durchsetzte.
Die Toleranz bestand dann oft aus achselzuckender Resignation, zugleich aber auch aus der zuverlässigen materiellen Unterstützung meiner Vorhaben.
Und dann war da noch jene Szene, an die ich mich mein Leben lang erinnern werde. Nach einer Serie von Schlaganfällen meines Vaters verbrachte ich etliche Wochen in Linz, um das Chaos zu schlichten. Als mein Vater dann wieder aus dem Krankenhaus nach Hause durfte und ich das Wichtigste erledigt hatte, wollte ich wieder nach Wien zurück. Bei der Verabschiedung hat mein Vater einfach seinen Kopf an meine Schulter gelehnt und geweint. Wortlos.
In diesem Moment empfand ich ihn souveräner,
als in all den Augenblicken seiner bemühten
Macht-Demonstrationen.
Nun bin ich seit mehr als 33 Jahren selbst Vater.
Drei Kinder mit zwei Frauen.
Und die blasse Blaupause als Fragment einer Leitplanke.
Ich habe um meine älteste Tochter gekämpft, als es Streit um das Besuchsrecht nach der Scheidung gab.
Ich habe die damaligen Kolumnen Elfriede Hammerls nicht verstanden und fühlte mich verarscht, als sie von geschiedenen Vätern schrieb, die sich nicht um ihre Kinder kümmern und ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen.
Ich habe extrem mit mir selbst gerauft, als es um Toleranzproben für meinen Sohn ging, die wie Malariaschübe kommen und gehen und ohne das Beispiel meines Vaters wäre ich verloren.
Ich habe meine jüngste Tochter durch eine sehr finstere Zeit begleitet und Tage und Nächte in Gedanken an sie verbracht, in denen sie tapfer gelitten hat und sich selbst wieder befreite.
Neben so vielen Erkenntnissen ist eine - die wichtigste - geblieben: Loslassen. Nichts wünschen. Dankbar nehmen, was man bekommen kann.
Und resolut klarstellen, was (mit mir) nicht geht.
Sogar diese Erkenntnis habe ich mir erlaubt:
Ich hätte auch ein glückliches Leben ohne Kinder führen können.
Aber es gibt keinen Ersatz für die Liebe, das Leiden, das Leben und die Lust, die durch die Existenz von Kindern die eigene Existenz bereichern.
Am Sonntag ist Vatertag. Ich grüße alle Väter.
Und die Mütter. Und die Kinder.
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Marion (Mittwoch, 10 Juni 2020 18:27)
diese Zeilen sind nicht nur für Väter bestimmt. ein echtes hannes coaching. sehr schön.
Elisabeth (Freitag, 12 Juni 2020 18:26)
Vielen Dank für das Teilen von soviel Intimität.