Die Hölle - das sind die anderen.
Dieses grausam wahre Zitat von Jean Paul Sartre ist mir grade durch den Kopf gegangen.
Ich war Laufen und beim "Nachschwitzen" am Balkon unseres wunderbaren Hotels habe ich mich mit einer Frage beschäftigt:
Es geht mir und meiner Familie ziemlich gut.
Wir sind alle gesund - das größte Glück.
Wir haben Arbeit - keine Selbstverständlichkeit.
Wir kommen gut miteinander aus - ebenfalls nicht selbstverständlich.
Alles in allem: Wir gehören zu einer Gruppe, die unglaubliches Glück hat - grade zwischen den Corona-Attacken, die so viele Existenzen betrifft und so viele physisch ausgelöscht hat.
Warum plagen mich dann die politischen Verhältnisse in meinem Land so sehr?
Warum rege ich mich derart auf über die unverschämte Indolenz der Regierenden?
Es hat mich doch - mit Ausnahme des extrem stümperhaften Managements der Hilfen für EPUs und KMUs in der Corona-Krise - nichts persönlich betroffen.
Nicht die unmenschliche und barbarische Flüchtlingspolitik. Nicht die Regierungsbildung mit Faschisten. Nicht das mit Füßen-Treten von Mindestgesicherten und Arbeitslosen. Nicht die reaktionäre Bildungspolitik. Und höchstens über die Bande die erschreckend unverblümte Korruption und Misswirtschaft.
Real hat sich in meinem höchstpersönlichen Leben seit 2017 nichts zum Nachteil verändert.
Ich fürchte, das ist genau das Kalkül der derzeit Regierenden. Und es kommt auch an.
Neulich hat jemand, den ich kenne, auf LinkedIn ein Posting geteilt, in dem mit drastischen Worten das Elend im und nach dem 2. Weltkrieg mit den heutigen Verhältnissen verglichen wurde. Nettobotschaft: Klappe halten, wir leben, wir leben gut, vergleicht doch mal die Umstände und kriegt Euch endlich ein.
Die Hölle. Das sind die Anderen. Und solange es uns persönlich gut geht, ist doch alles in Ordnung.
Also. Schön brav kuschen und nicht aufbegehren, sonst kippst Du schnell einmal von der Sonnen- auf die Schattenseite. Und dort ist die Hölle. Dort, wo die anderen sind. Die, die wir nicht haben wollen.
Bei uns. Unter uns.
Die Ent-Solidarisierung. Die Abschaffung des Mitgefühls. Die Entwertung der Toleranz.
Die Ignoranz der Aufklärung. Die Entfremdung.
All das konsequent be- und durchgezogen auf die Anderen.
Und niemanden schert's. Das ist das neue Biedermaier. Getarnt durch Jugendlichkeit und Pseudo-Modernisierung. Das ist purer Rückschritt.
Das ist die Hölle.
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AndiK (Samstag, 25 Juli 2020 15:23)
Lieber Hannes, ich kenne dieses LinkedIn Posting - es adressiert die Beschwerden und den Unwillen Masken zu tragen (zum Schutz der anderen, speziell der älteren Generation) und das Jammern über diese Phase des „partiell Daheim bleibens“ ohne Hunger und mit funktionierender Grundversorgung von Wärme bis TV) - nicht mehr und nicht weniger.
Schweigen über Fehler von Regierenden (die es immer geben wird, so wie es auch Fehler von Arbeitenden, Leitenden, Erziehenden immer geben wird) ist nur mit großer Mühe reinzuinterpretieren !