Die Verharmloser.

Mindestens so gefährlich wie die Hetzer:

Die Verharmloser.

Am Tag nach dem erschreckend-widerlichen Sturm auf das Capitol in Washington denke ich an alle, die vor vier Jahren treuherzig behauptet haben, 

das US-amerikanische System würde auch jemanden wie Trump aushalten.

Und die von den berühmten "checks and balances" schwärmten, die das angebliche Role-Model der Demokratie so schön im Gleichgewicht halten würden. 

Und gestern hat ein von Trump angestachelter Mob seine grausige Party im Congress abgehalten.

Nun werden wieder die Beschwichtiger antreten und sagen: Ja, aber Biden ist doch gewählt, er ist nicht mehr aufzuhalten, am 20. Jänner wird er angelobt - so oder so.

Wird sicher alles so sein. 

Und doch ist in den letzten vier Jahren das 

US-System auf eine Weise verändert worden, dass es sehr wahrscheinlich erscheint, dass der Graben, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, breiter und tiefer geworden ist.

Man fühlt sich unweigerlich an das dystopische Buch und die entsprechende TV-Serie "A Handmaid's Tale" erinnert, wo eine unfassbar bigotte und reaktionäre Diktatur die Macht in den USA übernommen hat. Und in mir steigen "alte" Bemerkungen auf, wo ich vor einigen Jahren - damals im Scherz - meinte, so blöd kann ein Science Fiction Film gar nicht sein, dass er nicht doch irgendwann einmal Wirklichkeit werden könnte.


Warum ich mir anmaße, Ereignisse und Entwicklungen jenseits des großen Teichs zu kommentieren?

Weil wir diesseits des Wassers ebenfalls von den Verharmlosern umgeben sind.

Ich sehe immer die verdrehten Augen meiner konservativen Freunde, wenn ich behaupte, seit ca. fünf Jahren erstmals in meinem Leben Angst um die österreichische Demokratie zu haben. Und sie sagen mir zuliebe nichts, aber auf ihren Gesichtern steht geschrieben: "Meine Güte, jetzt übertreibt er wieder schamlos, anstatt auf seinen Herzrhythmus zu achten. So ein Spinner!" 

Und 2017 haben alle, die sich Veränderung gewünscht haben, gesagt: Lasst ihn doch einmal machen, an seinen Taten wollen wir ihn messen.

Und jetzt ist unübersehbar, wohin der Praktikant uns führen will und wohin er uns noch geführt hätte, wären nicht zuerst Ibiza und dann Corona über ihn und uns hereingebrochen.

Wir haben einen Maschinisten der Unwahrheit und der Inkompetenz an der Macht. Gepaart mit einem Machtwillen und einer Rücksichtslosigkeit, die nur jemand koppeln kann, der frei von den Essenzen der Ethik und Moral ist. 

Und wir sehen eine Medienlandschaft, die bis an die Wurzeln korrumpiert ist und täglich George Orwell als naiven Träumer aussehen lässt.

Wir sind umgeben von Verharmlosern, die - in die Enge getrieben - sehr gerne zur Frage zuflucht nehmen: Was hätte er denn anders machen sollen?

Und auch wenn die Antwort schon lange lauten muss: Alles! - so nützt das nichts, solange es keine Gegenbewegung gibt, die mit ernsthaften und in der Breite wirksamen Alternativen auffährt.


Im Übrigen glaube ich nicht, dass im Falle des Scheiterns der gegenwärtigen Regierung niemand mehr mit Kurz regieren würde. Sie würden alle, alle!, auf den Knien anrutschen, wenn sie nur ein paar Ministerien und Amterln kriegen. 


Deshalb: Augen auf, Ohren auf! 

Wir müssen uns gegen die Verharmloser wehren.

Auf allen Ebenen, bei allen Themen, bei allen Anlässen. 


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Kommentare: 3
  • #1

    Marion (Donnerstag, 07 Januar 2021 12:45)

    Lieber Hannes, ich bin immer wieder komplett überrascht, dass du exakt meine Gedanken und Einstellungen wieder gibts. Ob das die gemeinsame OÖ Herkunft ist ;-)))) ? Auf jeden Fall tut's gut. Amerika ist für mich das Ergebnis des jahrzehntelangen Neoliberalismus gepaart mit den Symptomen des Changeprozesses in ein neues Zeitalter. da fällt mir immer nur der Piketty ein, den du sicher auch kennst. Solidarisch-liebe Grüße von deiner Landsfrau
    https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/thomas-piketty-ungleichheit-zerstoert-die-demokratie?urn=urn:srf:video:12816dbf-50e9-44c2-880c-3e763d479832

  • #2

    Robert Dengscherz (Donnerstag, 07 Januar 2021 16:07)

    Mag sein, dass die US-Demokratie viel wegstecken kann. Sie ist aber in manchem auch so schrullig organisiert, dass es permanente größte Fairness und höchste Moral braucht um dieses fragile System zu erhalten. Wenn dann innerhalb dieses Systems ein teilhabender Partner und seine Politkumpane jede Fairness und Moral vermissen lassen, dann kippt es sehr schnell.

    Natürlich hast du recht gehabt mit deinen Befürchtungen für Österreichs. Wer nicht glauben mag, dass wir hierzulande gar nicht so weit weg sind von Zuständen wie in den USA soll sich das wieder in Erinnerung rufen:"Das Parlament hat bestimmt, jetzt entscheidet das Volk!"
    https://www.youtube.com/watch?v=1f-Z2tv9a6E

  • #3

    Christian Sadil (Freitag, 08 Januar 2021)

    Darin bist Du nicht allein ... es gibt jeden Grund für ernsthafte Besorgnisse!

    Alles Liebe!
    Christian

    PS: take care of yourself & your family!