Schluss.

Einmal noch das Innerste nach außen kehren.

Wissend, dass die erwünschte Wirkung nicht eintreten kann.

Abgesehen von der für Sekunden eintretenden Erleichterung, 

etwas Unverdauliches losgeworden zu sein.


Jetzt zusammenschreiben, was wehtut. Einfach nur den Schmerz und den Unmut ausspeichern. Einmal noch. Und es dann gut sein lassen. Ab dann wirklich nur mehr auf der Blog-Plattform schreiben und nicht in die Social Media schicken, deren Abkürzung wohl nicht zufällig SM lautet. Dort keine fremden Posts mehr kommentieren, keine Likes setzen. Höchstens 2 bis 3 mal die Woche Voyeur sein.

Höchstens.


Unsere Demokratie geht grade krachend den Bach hinunter.

"Wir" haben uns zwar als etwas "Besseres" gefühlt, als die Nachzügler, die nach dem Mauerfall in Windeseile Anschluss an den Westen suchten. Jetzt sieht man, dass die 40 Jahre Vorsprung, 

die wir nach dem Weltkrieg hatten, nichts wert sind.

Die Boomer-Generation ist vom Wettbewerb um Firmenpensionen und Wochenendhäuser ermattet und versucht, ihre paar "Privilegien" über die Runden zu retten.

Die im auslaufenden 20. Jahrhundert Geborenen haben eine völlig andere Perspektive. 

Viele von ihnen haben die "Konsensdemokratie" als Agonie und Filz erlebt und den Kampf um Pfründe als lächerliche Auswüchse eines anscheinend "alten" Systems, das in Wahrheit immer noch in den Kinderschuhen steckt(e).

Jetzt hat sich ein Teil dieser Generation hinter jemandem versammelt, der ein grauenhaftes Trugbild angeblicher Jugend und Frische vortäuscht und in Wahrheit eine erschreckend reaktionäre Reise ins Vorgestern anführt. 

Dieser Hohlkörper, der grade das ganze Land in den EU-Gremien mit dem Geruch seines Narzissmus bestäubt hat, ist ein Etikettenschwindler ohne jede Substanz. Einer wie ich muss aber trotzdem mit der Tatsache leben (lernen), dass die unverblümten Angriffe auf die Grundlagen unseres demokratischen Systems dem Großteil der Wähler:innen komplett am Arsch vorbeigehen.

Gewaltenteilung, Verfassungsrecht, Aktienrecht, freie Medien, Menschenrechte, Aufklärung, Humanismus, EU - hähhh? 

Wie ich schon einmal schrieb: Unser Kanzler hält Aufklärung für ein Kapitel im Biologie-Unterricht und Kant für eine Wurstsorte.

Und - ganz sicher! - 90 Prozent seiner Adorant:innen ebenfalls.


Wäre ich eine Frau, die dem türkisen Lager angehört, ich würde jeden Tag vor den von Frauen geführten Ministerien demonstrieren, weil ich mich so schämte über die Flachwurzeleien dieser Pappfiguren, die dem Frauen-Anliegen jeden Tag so schweren Schaden zufügen. Durch ihre bloße Existenz in den Ämtern und durch das, was sie tun und vor allem unterlassen. Wäre ich ein Mann, der dem türkisen Lager angehört, ich würde mich genieren für die pubertären Auswüchse der Buberlpartie, die mit dem Land umgeht, wie mit einem Computerspiel. Was sind das für Ideale, denen diese Sympathisanten nachrennen? Tut das denn nicht grauenhaft weh? (Eh nicht, war ja nur rhetorisch gefragt...)

Und neben diesen potjemkinschen Figuren und ihrer erschreckenden Leere in den Gedanken und im Gewissen wächst: Nichts. Es gibt keine Gegenwelt zu dieser Geisterbahn.

Die Grünen haben eine Haltung eingenommen, die ich einfach nicht mehr nachvollziehen kann und die sie ihren Wähler:innen erklären müssen, denen ich mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und blanker Verwunderung begegne.

Rot hat ein kleines "window of opportunity" aufgestemmt, weil PRW die einzige Parteivorsitzende ist, die zur Pandemie einen fachlich fundierten Satz formulieren kann. Was kommt danach?

Aus heutiger Sicht jedenfalls keine belastbare bundesweite Plattform, auf der sich Rot, Grün und Pink unfallfrei bewegen könnten. Und: So wie jetzt niemand von den Postenschacherern auch nur versteht, dass es Zeit für einen Rücktritt wäre, genauso wenig wird niemand von denen etwas dabei finden, nach einer nächsten Wahl ohne Genierer wieder mit den Blaunen zu koalieren. Ich glaube einfach den Kommentaren nicht, die behaupten, Kurz hätte nach der nächsten Wahl keine Optionen mehr. Er hat. Und wir werden uns noch wundern. Sehr.


Während all das geschieht, steht mein Berufsleben vor einer extrem schwierigen Balance-Übung. So wie in den letzten großen Krisen ist es auch jetzt so, dass gutmeinende Bekannte meinen:

"Na, Dir müsste es doch jetzt blendend gehen. Jetzt, wo alle so große Sorgen haben, müsstest Du doch als Coach in den Aufträgen untergehen!" 

Und ich sage das selbe, wie während der letzten Krisen: 

"Ja, die Menschen haben Sorgen. Aber sie haben kein Geld. Oder sie dürfen es nicht zur Behebung ihrer Sorgen ausgeben. Und ich bin nicht in der gepolsterten Situation, dass ich gratis arbeiten kann, nur damit ich mein Handwerk nicht verlerne."

Ich werde mich wohl für die letzten fünf Jahre meines Berufslebens neu erfinden müssen. Unter Wahrung meiner Erfahrungen und Assets. Aber auch mit strengster Beweglichkeit für andere Themen, als die, die mich bislang beschäftigten.

Daran arbeite ich schon. Und ein Buch, das diese neuen Herausforderungen angreift, ist im Entstehen.

Dorthin lenke ich jetzt meine Gedanken und meine Buchstaben.

Und wenn ich es gar nicht mehr aushalte, schreibe ich mir hier was von der Seele. Damit meine Ventile in Ordnung bleiben und meine Leitungen nicht verstopfen.

Wir sehen uns hier. 

Oder hoffentlich doch irgendwann wieder in 3D.



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Kommentare: 3
  • #1

    Linda Wöss (Freitag, 02 April 2021 18:52)

    Großartig! Bitte mich in Zukunft in der Mailing Liste belassen, bin Begierde-Leserin!
    Und nur Mut! Es geht für jemanden wie Dich immer hervorragend weiter, davon bin ich überzeugt.
    Ich stand ein paar Mal vor Wendepunkten, es klappte weiterhin, und heute lache ich über die damaligen Sorgen.
    Herzliche Grüße von Haus zu Haus im Neunten von einer "Altersweisen"' die in ein paar Tagen geimpft wird. (Habe Dir hübsch einige Jährchen voraus)

  • #2

    Christian S. (Freitag, 02 April 2021 20:16)

    Ob wir’s, lieber Hannes, jemals schaffen werden, einander auch face to face zu begegnen, ist noch nicht abzusehen. (Das Vorhaben dazu ist ja schon einige Jahre dahingereift, ... lange bevor der Virus uns neue Regeln für soziale Interaktionen diktierte). Dein heutiger Beitrag hat mich jedenfalls wieder darin bestätigt, dass uns eine gemeinsame Sicht auf gemeinsame Sorgen verbindet. ... und das ist ja (in Zeiten wie diesen!) auch was durchaus Kostbares! Alles Liebe! Christian

  • #3

    Marion (Samstag, 03 April 2021 10:43)

    Du wirst immer gebraucht. Das geht gar nicht anders. Ist vielleicht eine kleine Talsohle, aus der du gute Erkenntnisse schöpfen kannst, um dann noch stärker daraus hervor zu gehen. Du bist nie alleine. Wir schicken dir viel positives und halten zusammen. Liebe Grüße