Liebe Frau Kurz!

"Kleine Kinder - kleine Sorgen. Große Kinder - große Sorgen."

Vielleicht kennen auch Sie diesen Spruch.

Meine Mutter hat ihn oft gesagt und es könnte ja sein, dass auch Sie ihn von Ihrer Mutter gehört haben.

Ich schätze, wir sind etwa aus der gleichen Generation.

Meine ältere Tochter ist genau gleich alt, wie Ihr Sohn.

Ich habe noch zwei weitere erwachsene Kinder und (bis jetzt) zwei Beute-Enkelinnen.

Da erlebt man schon allerlei.

Und ich bin - wahrscheinlich so wie Sie - sehr stolz auf meine Kinder.

Sie haben ihren Weg gesucht und gefunden und sind durch so manche Krise gewandert und aus allen heil und gestärkt herausgekommen. Unruhige Tage und Nächte waren das ab und zu für ein besorgtes Vaterherz. Genauso - und noch viel öfter - Augenblicke ganz besonderen Glücks, wo man seine Freude in die Welt hinausschreien möchte.


Ich bin ganz sicher, dass auch Sie den Gang der österreichischen Geschichte aufmerksam miterlebt haben. Und dass auch Sie sich an die Zeiten erinnern können, als es noch gemeinsame positive Projekte und Themen gab, die quer über die Parteigrenzen hinweg erstrebenswert waren. 

Und wenn ich die Positionen Ihres Sohnes anschaue, dann kann ich mir vorstellen, dass es bei Ihnen daheim oft Unmut gab über die Starrköpfigkeit der "Roten" und die Lahmarschigkeit der "Schwarzen". Ich kann mir das vorstellen, weil bei uns war es genau umgekehrt und meine Kids haben sich oft auch meine Klagen über das verschlafene politische System anhören müssen.


Es ist ca. 20 Jahre her, da hat meine jüngere Tochter aus der Volksschule eine Freundin nach Hause gebracht. Sie war die Tochter einer philippinischen Krankenschwester und konnte kein Wort Deutsch. Und meine Tochter hat sich um sie gekümmert und nach wenigen Monaten hat ihre Freundin Deutsch gekonnt.

Meine ältere Tochter hat vor kurzem - gemeinsam mit zwei anderen Autor:innen - ein Buch über sprachliche Sexualerziehung von Mädchen geschrieben. Es wurde ein großer Erfolg.

Mein Sohn war beim Zivildienst und hat nach Abschluss freiwillig Dienste beim Roten Kreuz gemacht, weil er gern was für die Menschen tut. Er ist über 2 Meter groß und ich liebe es, wenn er seinen Arm auf meine Schulter legt.


Sie verstehen sicher, dass mich das als Vater sehr stolz macht.

Und ich kann mir vorstellen, wie stolz Sie auf Ihren Sohn sind.


Vielleicht verbindet uns - Sie und mich - mehr, als wir glauben.

Wir lieben unsere Kinder. Und wir würden alles für sie tun, wenn sie in Not geraten, Sorgen haben und sich Schutz und Solidarität wünschen.

Vielleicht könnten Sie aus dieser sehr nachvollziehbaren Haltung heraus bei einer sonntäglichen Kaffeejause Ihrem Sohn gut zureden, dass es tausende Kinder gibt, die keinen Schutz und keine Solidarität genießen. Die sitzen grade auf griechischen Inseln, haben die Krätze und keine Hoffnung, dass es jemals besser wird.

Weil sie nicht nach Österreich dürfen.


Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, dass Sie Ihrem Sohn versuchen, das zu erklären, was viele Eltern tun: Dass man zu dem steht, was man sagt und tut und dass es zum schmerzhaften Erwachsenwerden gehört, Verantwortung zu übernehmen und nicht immer andere zu beschuldigen, nur weil die auf Verhaltensweisen hinweisen, die sich einfach nicht gehören.


Ich bin ganz sicher, dass wir als Eltern, die politisch verschieden ticken, in diesen grundlegenden Fragen des Menschseins übereinstimmen. Vielleicht machen wir einmal einen Spaziergang.

Im Augarten. Da gibt es eine recht nette Jausenstation. Und ich lade Sie auf ein Glas Prosecco ein. Und dann setzen wir uns in die Sonne und reden über unsere Kinder.

Dass wir beide stolz sind auf sie. 

Und was wir ihnen noch mit auf den Weg geben wollen.

Sie sind zwar schon erwachsen. Aber den einen oder anderen liebevollen Hinweis werden sie uns schon noch erlauben. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Marion (Montag, 17 Mai 2021 09:58)

    Geniaaaaaaaal!!! lieber Hannes, die IDEE!. Kannst du den nicht veröffentlichen lassen...Falter, Standard, Süddeutsche. Sogar das deutsche Handelsblatt hatte einen "vernichtenden" Artikel über Bast geschrieben.

  • #2

    Maria (Montag, 17 Mai 2021 11:11)

    Herzensbildung - davon, lieber Hannes, hast Du ganz viel abbekommen!

  • #3

    Robert Dengscherz (Montag, 17 Mai 2021 12:43)

    ���

  • #4

    Georg Paulusberger (Montag, 17 Mai 2021 22:33)

    Ich bewundere, ehrlich!!!, Deine menschliche Großzügigkeit trotz vermutlich geradezu diametral entgegengesetzter Weltsichten und Werte. Vielleicht liegt es daran, dass ich
    keine eigenen Kinder hatte und die Beutekinder bereits 16 und 18 und wohl erzogen waren als ich mein Frau kennenlernte.