Mein Vater und sein bester Freund - mein Firmpate, der "Onkel Karli" - waren in einem amikalen Wettbewerb, der ungefähr Anfang/Mitte der 60er-Jahre startete.
Als im Zuge des Wirtschaftswunders immer neue und noch spannendere technische Errungenschaften auf den Markt kamen, "mussten" die beiden einander regelmäßig mit immer noch attraktiveren Anschaffungen überbieten.
Die erste, an die ich mich erinnern kann, war ca. 1965 ein Radio/Plattenspieler von GRUNDIG, der nach damaligen Möglichkeiten alle Stückerln spielte.
Wir waren bei diesem Gadget die ersten.
Etwa vier Wochen später stand exakt das gleiche Gerät in Onkel Karlis und Tante Hildes Wohnzimmer.
Im Rahmen der damaligen Einstellungs-Möglichkeiten wurde auch der braven Hausfrauen gedacht: Es gab Geschirrspüler und - der im wahrsten Sinn des Wortes heißeste Scheiß - auch Bügelautomaten, die von geschickten Frauenhänden und ebensolchen Knieen per spezieller Fußtaste bedient wurden. Im Sitzen. Damit die Hausfrau beim Fernsehen bügeln konnte und nicht stehen musste.
Das war der damalige Haltungs-Stand fürsorglicher Ehemänner.
Weitere Attribute des Technologie-Wettbewerbs: Casetten-Recorder für die Sprösslinge, Autos, Elektro-Griller, die aussahen, wie künstliche Lungen, Firmungsuhren und noch allerlei anderer Zierrat.
Schließlich kam das Jahr 1972.
Das Fernsehen rüstete auf Color um und es gab das Farbversuchsprogramm mit speziellen Trailern, die aussahen, wie bunte Rohrschach-Tests.
Wir waren bei Onkel Karli und Tante Hilde zur Jause eingeladen und es war wie immer: Der Schmäh rannte und die Zeit verging, es wurde 20 Uhr 15 und der damalige Straßenfeger - die Serie "d´Artagnan" war angesagt. Es war zu spät, um nach Hause zu rasen, so folgten wir der Einladung unserer Gastgeber, die Serie doch bei ihnen gemeinsam anzuschauen.
Onkel Karli bewegte sich mit Verschwörermine zum TV-Gerät, drückte den "Ein"-Knopf und es entstand ein farbiges Bild!
Großes Staunen bei uns. Gemischt mit augenblicklich aufwallendem Neid. Und wir sahen unsere Lieblingsserie. Noch nie hatte ich grüneres Gras gesehen, braunere Pferde und rötere Gesichter!
Noch bei der Heimfahrt im Volvo war klar: Sowas muss her.
Als "Ausrede" galten die herannahenden olympischen Spiele, die man doch nicht in schwarz/weiß über sich ergehen lassen konnte.
Rechtzeitig zu den Spielen stand ein nigelnagelneues Farbfernsehgerät - damals noch mit einer Gerätetiefe von einem gefühlten halben Meter - am besten Platz im Wohnzimmer. Und obwohl uns das Springreiten genau Nüsse interessierte: Man musste es schauen und sich über die bahnbrechende Farbqualität ereifern.
(Nicht nur aus Gründen politischer Correctness muss nun endlich auch erwähnt werden: Uns war damals und mir ist heute umso mehr bewusst, dass sich dieser technische Wettbewerb innerhalb eines Zirkels sehr begüterter Menschen abspielte und uns war auch klar, dass wir zu diesem Zirkel gehörten. Nur ganz selten brach dieses Klassenbewusstsein im Sinne unangemessener Arroganz bei meinen Eltern durch, die sonst durchaus nicht zu solcher Abgehobenheit neigten.)
Der Erwerb dieser Gadgets vollzog sich damals auf völlig andere Art, als heute. Da gab es in zentraler Linzer Lage den Elektrohändler Pernusch. Er war die absolute Instanz bei allem, wo an einem Ende Strom reinging und am anderen Ende Licht, Bild und Ton rauskam.
Herr Pernusch stand höchstselbst im Geschäft. Ein beeindruckend großer Mann mit tiefer sonorer Stimme, der seine Kunden namentlich kannte. Herr Pernusch trug immer einen anthrazitfarbenen Arbeitsmantel, der ihm eine zusätzliche ingenieurhafte Anmutung verlieh. Er war eine solche Autorität, dass mein kleiner Bruder, gefragt, was er denn einmal werden wollte, spontan antwortete: "Sowas wie der Herr Pernusch!"
Das nach umfangreicher Beratungsleistung erworbene Gerät musste der wackere Konsument nicht selbst nach Hause tragen.
Es wurde zugestellt und fachgerecht montiert und eingestellt.
Da kam der rote Lieferwagen mit der weißen Pernusch-Aufschrift.
Sein Erscheinen wurde sehnsüchtig erwartet und verursachte unruhige Nächte vor dem Tag X. Dem Lieferwagen entstieg der Chefmonteur der Firma Pernusch. Auch im grauen Arbeitsmantel.
Aber aus dem Mantel lugten - Sommer und Winter - nackte stramme Männerwaden. So viel Unterschied zum Herrn Pernusch himself musste schon sein. Der Monteur hatte einen Helfer dabei, mit dem er das Gerät in den ersten Stock schleppte.
Dort - von meiner Mutter mit Kaffee und Kuchen empfangen - stärkte er sich erst einmal, um dann zur Tat zu schreiten. Allein das Ausmessen des Wohnzimmers bei Lieferung unserer ersten Stereo-Anlage vermittelte den Eindruck solider Welt-Raum-Wissenschaft.
So war das damals.
Genauso verlief zum Beispiel auch der Erwerb und Einbau von Radio und/oder Casetten-Recorder im Automobil.
Die Autohändler hatten damals nur direkt dem Fahrzeug zugeordnete Ersatzteile, aber keine Extras, wie es eben ein Autoradio darstellte. Das hatte der Herr Pernusch. Man suchte das entsprechende Gerät nach Leistung und Preis aus.
Als ich mein erstes Auto hatte (1976), war das Non Plus Ultra ein Radio mit Cassetten-Teil. Das Radio mit Sendersuchlauf und der Cassetten-Teil mit automatischer Umdrehung der Cassetten-Seiten. Plus - natürlich - Stereo-Boxen. Damals in Kugelform, die optische Status-Markierungen setzend, auf der Hutablage thronten.
Viele Jahre später - ich hatte schon einen Firmenwagen - war der absolute Bringer ein kleines Kästchen im Kofferraum, in dem man bis zu 20 CDs einspeisen und vom Fahrersitz aus per Knopfdruck anwählen konnte.
Ein paar Jahre vorher hatte einer meiner Chefs die Anschaffung eines Handys für mich noch mit der Bemerkung, das wäre ein unnötiges Status-Symbol kommentiert, aber letztlich nicht ablehnen können.
Alles ganz anders, als jetzt.
Kein Pernusch mehr. Kein Monteur mit nackten Waden, die aus Arbeitsmänteln ragen. Und der Herr Bezos kennt mich nicht.
Dafür wage ich mit einem Minimum an Stolz zu behaupten, dass mein Abstand zum technischen heißen Scheiß doch ein bissi kleiner ist, als der meiner Eltern zum damaligen State of the Art.
"A scho wos", würde mein Vater das kommentieren.
Und er hätte wieder einmal recht.
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Robert Dengscherz (Mittwoch, 06 Oktober 2021 23:06)
Ein schönes Zeitgemälde �
Barbara Riedl (Montag, 11 Oktober 2021 23:57)
Wunderbare Geschichte aus einer Zeit, die unsere Kinder nie kennengelernt haben. Wenn du Ein paar solcher historischer Kleinodien für mich hättest - ich tät sie leidenschaftlich gern an meine Jugend vermitteln :-)