Ich bin müde.
Vom ewigen und andauernden Herumdiskutieren.
Vom machtlosen Zuschauen, wie unser demokratisches System scheibchenweise ruiniert wird.
2013 habe ich auf Facebook einen Aufruf platziert.
Treffpunkt Oper. Spaziergang bis zum Burgtheater. Mit Taschenlampen. Damit der (damaligen) Regierung ein Licht aufgeht. Die damalige Regierung: Die abgewrackten Reste einer Großen Koalition, geführt von den Blindschleichen Faymann und Spindelegger. Blind und taub gegen alle Anzeichen, dass das Land nach rechts rückt, dass die Faschisten immer mehr Oberwasser kriegen, dass die Mieselsucht gewinnt.
Es erschienen: Einer meiner besten Freunde, seine Frau und meine Frau. Wir sind dann galgenhumorig zum Landtmann spaziert und ich hab mir ein extragroßes Punschkrapferl gegönnt.
Letzte Woche:
Ein wunderbarer Freund holt mich zu einem Treffen ins Café Ritter. Er hat große Sorgen, dass Kurz und Kumpane das Land kaputt machen. Er fragt mich, ob ich mein Netzwerk anwerfen kann, damit endlich was dagegen geschieht.
Ich frage: Welches Netzwerk?
Die SPÖ leidet an chronischer Geistes- und Muskelschwäche. Die halbwegs wichtigen Roten, die ich kenne, sind abgetaucht und warten - ich weiß nicht, auf was.
Die Freimaurer. Ja eh. "Brüderlichkeit und Menschlichkeit wie hier (im Tempel) durch das Wort so im Leben durch die Tat walten zu lassen."
Ja. Und dann gehen wir ins Leben und walten als Individuen. Jeder für sich. (Gott für alle).
Kein konsolidierer Aufschrei nach Einhaltung der Menschenrechte, auf die wir bei unserer Aufnahme geschworen haben. Und - superwitzig - keine Verschwörung für das Wahre, Gute und Schöne. Keine Verschwörung für gar nix. Unter der Latte des Mythos gehen wir grade kerzengrade durch.
Und gleichzeitig: Stillgruppen. Binnen-i. Gender und Transgender. Diversity. Inklusion. New Work. Agilität. Adaptivität.
Die Reihe der Buzzwords ist endlos. Ebenso wie die herzigen Bemühungen eines großen Teils der Bevölkerung, diesen Buzzwords Leben einzuhauchen.
Und während all das so lieb vor sich geht, machen sich die Austrofaschisten die Medien gefügig, räumen den Rechtsstaat ab, bauen Netzwerk um Netzwerk, mit dem sie sich die Wirtschaft herrichten, scheißen auf Parlament und Gewaltenteilung.
Und: Ganz gefährlich. Wirken extrem magnetisch auf hochgebildete erfolgshungrige junge Leute, die bereit sind, hart zu arbeiten, schnell Einfluss zu gewinnen, hurtig nach oben zu turnen. Egal, wie zynisch und korrupt die sind, denen sie gefallen wollen.
Und die "anderen" philosophieren derweil über die Work/Life-Balance, Coworking-Spaces und Open Sources.
Ich bin müde von all dem.
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Caroline (Sonntag, 03 Oktober 2021 16:52)
Lieber Hannes
das Müdesein verstehe ich nur zu gut. Ich würde mich am liebsten in die Berge verkriechen und von gar nix mehr was hören.
Die große Frage bleibt: Was tun? Ehrlich gesagt habe ich in den 40 Jahren seit meiner Jugend in der SJ den Glauben an die SPÖ verloren. "Es kummt nix Besseres noch", hat sich bei ihr leider bewiesen.
Das große Geld regiert immer hemmungs- und skrupelloser die Welt, und wenn sich die ArbeitnehmerInnen bei einer Lohnrunde ein Minikrümelchen vom Kuchen abschneiden dürfen, wird das von ein paar Sozialdemokraten als enorme gewerkschaftliche Leistung gefeiert – und die anderen machen sich Sorgen, ob das denn die Wirtschaft eh verkraftet und die Mehrheit der Bevölkerung fragt sich das – entgegen ihre eigenen Interessen – auch. Aber keine/r fragt sich, ob "die Wirtschaft" die Boni und Dividenden und sonstigen Goodies verkraftet, die sich die an den Schalthebeln der Konzerne und mithilfe ihrer Steigbügelhalter in den politischen Ämtern auszahlen.
Mir fehlt, ehrlich gesagt, voll der Plan, und im Gegensatz zu früher geht mir langsam auch die Energie aus. Mehr als zur einen oder anderen Demo zu latschen und die eine oder andere Diskussion mit NachbarInnen zu führen, ist kaum drin.
Quo vadis?