Es hat mich schon oft gewundert, wie reaktionär angeblich konservative Menschen sein können.
Eines meiner Lieblingsbeispiele ist das eines Fabriksbesitzers (Unternehmen geerbt in vierter Generation), der über seine Zeit beim Bundesheer so redete: "Ich bin heut noch froh, dass ich beim Bundesheer war, denn nirgendwo sonst triffst Du Leute aus allen Bevölkerungsschichten so dicht beisammen an einem Ort."
Als ich das hörte, krampfte ich mich zusammen und fragte zuerst mich und dann ihn: "Möchtest Du einmal versuchen, einen Sprung in Deine Werkshallen zu machen? Dort arbeiten die. Schon lange. Für Dich!"
Oder auch der auf Parteiticket sitzende Vorstand eines staatsnahen Unternehmens, der anläßlich der Schüsselschen Kürzungen der Mindestpensionen um 60 Euro im Monat meinte: "Meine Güte, da geh ich einmal weniger mit meiner Frau essen und schon hab ich's eingespart." Dass Mindestrentner gar nicht ins Wirtshaus gehen können - schon gar nicht zu zweit - erschloss sich dem Vorstand grade nicht so gut.
Und nun haben wir einen Bundeskanzler, mit dessen Vater ich 10 Jahre im gleichen Rotary Club war und dem ich nicht zutraute, sich selbst im Vollrausch so daneben zu benehmen, wie sein Sohn. Dabei ist es viel weniger die Ablagerung von Gerichtsakten am Fußboden, sondern seine plakativ abschätzige Haltung zu Parlament und Gewaltenteilung. So, als hätte es keine Aufklärung und keine Demokratie gegeben und all das wäre ein peinlicher Irrtum des Pöbels, den man bisher auf dem Gstüt im Mühlviertel nicht mitgekriegt hat.
Dann gibt es noch ungezählte andere Menschen, die ich vor 2015 als warmherzig und freundlich (trotz unübersehbarer ÖVP-Affinität) erlebt hatte und mit denen ich eine lange Reihe sehr gemütlicher Gemeinsamkeiten zelebrierte.
Die meisten von denen habe ich seit 2017 immer seltener getroffen und nun meide ich sie regelrecht.
Wir nerven einander und können das Abdriften in tiefe ideologische Gräben nicht mehr überspielen.
Und ich bedaure das, weil ich erschreckt feststelle, dass das, was ich früher der FPÖ vorwarf, nun 1:1 auf die frühere ÖVP zutrifft: Dass das Anstreifen an die türkise Ausdünstung zu charakterlichen Deformationen führt, die den ganz miesen Bodensatz im Wesen eines Menschen nach oben befördern.
Das ist bedeutend mehr, als die nach einer lange nicht gewechselten Unterhose miachtelnde Bigotterie, die zu einem vor laufenden Kameras geheuchelten Dank an den lieben Gott nach gewonnener Wahl führte. Das ist moralischer Bankrott, der sich - Gott weiß, warum - vorzugsweise gegen Kinder wendet. Entweder gegen die einheimischen, denen aus bösartig-taktischen Motiven die kostenlose Nachmittagsbetreuung verwehrt wird. Oder gegen die ausländischen, die um 3 Uhr nachts ausgewiesen werden oder in griechischen Lagern den Ratten überlassen werden.
Aber uns bleibt ja immer noch der rührend bemühte Bildungsminister, der den lieben Kinderlein empfiehlt, ein Zimmer zum Lernen und eines zum Spielen zu benützen. Platz am Gstüt müsste es dafür ja genug geben.
Irgendwie möchte man diese entmoralisierte Dollfuß-Loden-Abteilung gerne an ein Fließband stellen und sie im Akkord Nachttöpfe schweißen lassen...
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Linda Wöss (Dienstag, 12 Oktober 2021 23:31)
Habe den Vater Schallenberg vor zig Jahren bei meinen Schwiegereltern kennengelernt, die in Sandl/Mühlviertel einen Ferienwohnsitz hatten. Fand den Botschafter damals interessant und angenehm (war allerdings viiiel jünger), und bin entsetzt über den Sohn. Hielt ihn bis jetzt für farblos und für einen empathielosen Sprechautomaten (Moria!), Doch was er gestern und heute als Statements ablieferte ist für mich gefährlich - sehe ihn als einen arroganten Zündler, der das Gegenteil von dem will, was er VdB gelobte.
Barbara Riedl (Mittwoch, 13 Oktober 2021 00:32)
So schrecklich wahre Worte!
Marion (Mittwoch, 13 Oktober 2021 05:44)
In mir kamen Bilder aus der NS Zeit hoch, als ich diesen stillen gehorsam, diese BLINDE unterwürfigkeit, gestern sah. Haben die alle die gleiche Pille geschluckt? Das gibt es ja sonst gar nicht.
Robert Dengscherz (Mittwoch, 13 Oktober 2021 06:28)
Es ist halt die ÖVP auch nur "angeblich konservativ".
Gegründet als "christlichsoziale" Partei, wobei man sich das Prädikat "sozial" halt hinaufpappte weil es bei den zu erobernden neuen Wählerschichten starke Rivalität zu den Sozialdemokraten gab und "christlich" nannte man sich halt um zu transportieren dass man "nicht jüdisch" ist; Man hatte ja gerade den politischen Antisemitismus erfunden auf dem es sich so trefflich zum Erfolg surfen ließ.
Zwischen den Weltkriegen regierte man immer autoritärer was schlussendlich zu einer klerikalfaschistischen Diktatur führte, die es schaffte, weil von den noch gröberen Nazis zur Seite geprügelt, als Opfer zu gelten.
Dafür machte man nach der Befreiung vom größten Österreicher aller Zeiten mit dem selben Personal, gerade mal Kurt Schuschnigg exilierte man, weiter. Der "Geist der Lagerstraße" machte vergessen, dass etwa die beiden Säulenheiligen von Zweiter Republik und ÖVP, Julius Raab und Leopold Figl unter anderem im Ständestaat in führenden Positionen für die OSS (Ostmärkische Sturmscharen), eine paramilitärische Radautruppe, vergleichbar mit der SA, tätig waren.
Liberalere Gründungsmitglieder der ÖVP von 1945, wie etwa Raoul Bumballa, gaben bei dieser sich rasch nach rechts entwickelnden Partei rasch auf oder wurden zur Seite gedrängt; Das Muster sollte sich immer wieder wiederholen. Mit Erhard Busek, Josef Riegler und Reinhold Mitterlehner etwa.
Die ÖVP war nie eine wirkliche konservative Partei und Alexander Schallenberg repräsentiert perfekt, was sie wirklich ist.
Sigi Hafner (Mittwoch, 13 Oktober 2021 10:17)
Danke sehr für den Text!
Und ich möchte es nur festhalten, keinesfalls drängen(!): Ich hoffe, eines Tages Deine Texte wieder auf Facebook teilen zu können. :-)
Christian Sadil (Mittwoch, 13 Oktober 2021 22:06)
Dass zwischen die “Nationalen” aus der FPÖ und die “Konservativen” aus der ÖVP in den meisten Fällen kein Blatt Papier passt, wenn es um Fragen und Werte geht, in denen Empathie einen Stellenwert hat, ist mir schon sehr früh - jedenfalls spätestens in den späten 70-ern des vergangenen Jhdts. - klar geworden (und hat sich seither kontinuierlich immer wieder bestätigt). Unterschiedlich ist nur die “Kultur”, mit der in beiden Großgruppen, die eigene Gefühlskälte, die Skrupel-Befreitheit und die eigene kriminelle oder faschistoide Energie nach außen vermittelt (oder zu verbergen sucht). Die “Konservativen” waren darin - zumindest bis zur überheblichen “Expertenrunde” rund um den Desaster-Kürzler - deutlich “begabter” und erfolgreicher.
Karin Löfler (Montag, 25 Oktober 2021 16:40)
Hannes, ich weiß nicht genau, wie du das machst - und nur, damit hier kein Missverständnis aufkommt, denn ich bin glücklich gebunden - , aber du berührst mich immer wieder auf's Neue mit deinen unglaublich treffenden, entlarvenden Worten. Wir sind in unterschiedlichen Welten aufgewachsen und kennen einander nicht einmal persönlich und auch ein kleiner Altersunterschied ist vorhanden, aber ideologisch könnten wir Zwillinge sein!
Und mutig bist du sowieso, denn du pfeifst darauf, ob mancher Kunde dir deine Schonungslosigkeit übernehmen könnte!
Bravo, Chapeau und bitte bleib genau so wie du bist!