Wäre ich jetzt so um die 40 Jahre alt, würde ich mit größter Wahrscheinlichkeit meine politischen Boxhandschuhe anziehen, in den Ring steigen und dieser reaktionär-korrupten Totengräbertruppe der Demokratie ordentlich eine auflegen.
Mit 20 Jahren mehr am Buckel freue ich mich, dass meine Bandscheiben friedlich sind und meine Pumpe tut, was sie soll. Und ich bin glücklich, wenn ich meine Kinder sehe und was sie aus sich gemacht haben und vor allem, dass sie grundlegend immunisiert sind gegen die gegroomten Ideen der lackierten Hohlkörper, die vorgeben, modern zu sein, während sie im "fast backward" Modus ins 19. Jahrhundert rasen. Ein kleines Federl für diese positive Allergie meiner Kinder darf ich mir auch auf einen meiner 14 Hüte stecken.
Ab und zu schnüffle ich ein bissi auf Twitter rum und noch ab und zuer poste ich dort eine Kleinigkeit.
Es ist schrecklich. Im Unterschied zu Facebook scheinen die meisten der dort platzierten Wortspenden auf Faktenbasis zu stimmen. Auch wenn die Interpretationen der Absonderungen der derzeit Regierenden auf der Basis einer so grundlegenden Erregung stattfinden, dass selbst "objektiv" harmlose Polit-Flatulenzen zu lebensgefährlichen Giftwolken hochgejazzt werden.
Will ich das alles wissen? Mit 40 würde ich es wahrscheinlich. Heute bürdet es mir einen Rucksack auf, der mich in meiner Beweglichkeit einengt.
Da hat sich beispielsweise ein sattsam bekannter Plagiatsjäger als Hobby-Detektiv geriert und sich ein Wochenende lang ein Match mit einem Chefredakteur geliefert. Lese ich im Standard...
Und der kleine Biedermeier in mir fragt sich, was das mit mir zu tun hat. VIEL, schreit der 40-Jährige in mir, siehst Du denn nicht, dass die Arschlöcher schon wieder die Zone mit Shit fluten? Ja, sehe ich, sagt der 63-Jährige und glaubst Du etwa, das ist mir wuascht? Aber wo sind denn die heute 40-Jährigen, die endlich aus ihren Komfortzonen kriechen und diesen Arschlöchern, die so alt sind, wie sie selbst, den Marsch blasen? Wieso sollen wir Boomer Euch - wie immer ihr Euch grade nennt - die Demokratie retten, wenn Ihr uns als die Räuber Eurer Zukunft diffamiert? Ja, ich hoffe, Ihr zahlt brav Eure Pensionsbeiträge, damit ich meine Rente genießen kann, während meinesgleichen immer älter werden, obwohl mir persönlich ein Verweilen bis etwa 83 auf diesem Planeten durchaus genügen würde.
Und warum bin ich damals mit 40 nicht selbst in die Politik gegangen? Ich hatte tatsächlich zwei Angebote. Was hat mich abgehalten? Heute weiß ich es: Der Hochmut. Ich empfand eine tiefe Aversion gegen die Apparatschiks, die mich eine vorgefertigte Rücktrittserklärung unterschreiben lassen wollten, für den Fall meiner Unbotmäßigkeit. Und ich wollte einen zweiten Job zusätzlich zum Nationalrat, weil ich als Geschäftsführer einer Werbeagentur in Österreich keine rote Punze tragen konnte, ohne die Aufträge und Jobs meines Unternehmens zu gefährden. Ja. So wars. Genau so.
Und heute denke ich daran, wie ich mit meiner kleinen Lisa am 1. Mai mit dem Rad zum Rathaus gefahren bin und Lisa hat sich in ihrem Sitzkorb aufgerichtet, als sie Vranitzky reden sah und aufgeregt mit ihrem kleinen Ärmchen hingedeutet.
Oder meine Tochter Hannah, die zwei Mal Schulsprecherin war und so ein herrliches Gegenmodell zu den gestriegelten Gel-Monstern darstellte.
Oder meinen Sohn Paul, der so feinfühlig alles anschaut, dass ich manchmal nicht mehr weiß, ob das alles von ihm verdaut werden kann.
Und Gott sei Dank bürde ich ihnen keine Ansprüche auf, ob und wie sie was tun sollen.
Obwohl: 30 Jahre mit einem Vater wie mir sind schon Vorgabe genug...
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Marion (Dienstag, 26 Oktober 2021 17:38)
....ob und wie sie was tun sollen deine Kids....da hast du alles richtig gemacht. Bei der Entfaltung die kleinen Wesen führen, mit den guten Werten. Ich denke, du hast 3 wehrhaften Kids in die Welt entsandt.