Als irgendwie immer ein bissi heimatlos vor sich hin leidendes Parteimitglied erlaube ich mir das unter Genossinnen übliche Du-Wort.
Als Jahrgang 1958 habe ich Bruno Kreisky in seiner Hochblüte und seinem (Alters-)Starrsinn erlebt und als Politologe habe ich auch seine Zeit in der Opposition von 1966 bis 1970 analysiert.
Speziell zu diesem Zeitraum und den damaligen Strategien wirst Du von Deinen aktuellen Beratern konstant in die Irre geführt. Kreisky ging es niemals um ein Anbiedern an die absolut regierenden Schwarzen. Sondern um die ständige Aufrüstung der SPÖ mit Ideen und Konzepten, sodass die SPÖ jederzeit bereit sein würde, Regierungsverantwortung zu übernehmen. In der Rolle des größeren Partners, nicht des Junior-Blinddarms. Von einer Absoluten hatte nicht einmal er so richtig zu träumen gewagt.
Das alles kann man nachlesen. Bei ihm selbst und einer Reihe ausgezeichneter Biographen.
Ich habe generationsbedingt auch Vranitzky verehrt und seine Regierungszeit genossen. Und Klima erduldet. Gusenbauer kenne ich seit der Uni persönlich und habe sogar einmal ein Konzept für die Pensionsreform für ihn verfasst. Der Begriff "Fairness-Pension" ist von mir. Unter seinem Axiom der "solidarischen Hochleistungsgesellschaft" habe ich anfangs gelitten, heute verstehe ich zumindest, was er gemeint hat. Nicht verstehe ich seine Post-Ballhausplatz-Karriere und Deine Entscheidung, ihm in diesem Licht die Viktor-Adler-Plakette zu verleihen.
Faymann war für mich eine intellektuelle Pein.
Er hat die Partei gedanklich auf Null gefahren und das Land von allen Visionen befreit.
Auf den hörst Du heute. Das tut mir richtig weh.
Bei Kern ging mir anfangs das Herz auf.
Was für ein sprühender Geist, was für gute Ideen, was für eine ideologische Erdung. Und was für ein taktischer Stümper, der die Gunst der Stunde nicht erkannte.
Dann hab ich mich nach Dir gesehnt. Ehrlich!
Ich liebte Deinen Geist, Deine Empathie, ja, sogar Deinen Anblick.
Und dann fiel ich aus allen Wolken. Kein Konzept, keine Strategie ("Frau Rendi-Wagner, wofür steht die SPÖ?" "Wir arbeiten daran.") nichts, was ein "political animal" ausmacht. Nur streberhaftes Abarbeiten von ganz schwachen Blitzlichtern, denen der gemeinsame rote Faden fehlt. Wir arbeiten daran...
Und jetzt, nach zwei Jahren Voll-Desaster der türkisen Bande liegt die SPÖ genau 1 (einen!) Prozentpunkt vor den Türkisen. Einen einzigen Prozentpunkt, nach dieser Spur des Scheiterns!
Da müssten die Menschen Schlange stehen in der Löwelstraße, sie müssten Dich auf den Balkon schreien, sie müssten sich um Dich scharen und Dir das Land zu Füßen legen. Statt dessen: Ein "Vorsprung" innerhalb der statistischen Schwankungsbreite. Aber Du hast ja auch Gusenbauer ausgezeichnet, der nichts anderes geschafft hat, als zu stagnieren, bis Schüssel unter ihm zu liegen kam.
Deine Berater Faymann und Deutsch richten die Partei zugrunde.
Und Dich. Die heimliche Rache an Kern, die Du jetzt abkriegst. Und vielleicht merkst Du auch das nicht.
Dann kommt die Kanzlerfrage. Du gegen Schallenberg, der nun wahrlich keinen Kanzler-Bonus für sich arbeiten lassen kann. Und - auf niedrigem Niveau - Schallenberg liegt sogar jetzt vor Dir!
Liebe Pam! Bitte hör auf.
Ich und ganz viele andere danken Dir von ganzem Herzen für Deinen heroischen Kampf. Aber Du bist zu einem weiblichen Don Quichotte geworden.
Bitte lass Michael Ludwig ran.
Er ist politisch trittfest. Er ist klug. Er mag die Menschen. Und er weiß, wie man Krisen managt.
Er kann es.
Mach DU ihn zum Parteivorsitzenden und zum Kanzlerkandidaten. Und die Herzen werden Dir zufliegen. Damit würdest DU Dir die Viktor-Adler-Plakette verdienen.
In wirklich herzlicher Verbundenheit und großer Freundschaft
Dein Hannes
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Elfie (Samstag, 20 November 2021 14:09)
... zu Tränen gerührt. Ehrlich. Ich danke dir! möge dieses Schreiben wirken (schreibe ich nicht gerade hoffnungsvoll, es wäre halt zu schön!)
Wolfgang Hagmann (Samstag, 20 November 2021 17:27)
Cooler Brief!!!
Irmgard Campbell (Sonntag, 21 November 2021 03:59)
Das tut weh ... weil Du recht hast. Könntest Du ihr nicht ein Ausstiegsszenario skizzieren bei dem Sie nicht auch noch den Rest ihrer Würde verliert?
Schindler Ludmila (Montag, 22 November 2021 13:39)
Was für ein toller und empathischer Brief mit so viel Wahrheitabgehalt DANKE! Möge er erhört werden! MfG L. Schindler
Helene Jirik (Montag, 22 November 2021 14:06)
Auch ich bin ein vor sich hinleidendes Parteimitglied (Jahrgang 40). Dein Beitrag entspricht der Realität. Danke!!